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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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die Augen zusammen.
    Der Himmel über Sylvester hellte sich auf.
    Sie hielt den Atem an.
    Von einem Moment auf den anderen wurden die Sterne verschluckt von einem gleißenden, sich ausbreitenden Licht, als werde im Innern des Kraters eine zweite Sonne geboren. Sofort wandte sie den Blick ab, flog eine 180-Grad-Kurve und stellte fest, dass sie die vollständige Kontrolle über Richtung und Geschwindigkeit erlangt hatte. Ihr Kraterchen lag ein ordentliches Stück hinter ihr, doch der Untergrund entfloh ihr nicht länger. Sie hatte den Kampf gegen die Eigenbeschleunigung gewonnen, musste Schutz suchen. Ringsum erstrahlten Hügel und Felskämme, selbst die fernen Massive des Pols, im Licht der Kernexplosion, das jedoch rasch verging, sodass sie in ihrer Neugier nicht anders konnte, als den Hopper zu wenden.
    Das Licht war verschwunden.
    Kurz dachte sie, Sylvester habe die Energie der Atombombe vollständig absorbiert, doch irgendetwas war anders als vorher. Zuerst begriff sie nicht, was sie sah, dann überfiel sie der Schock der Erkenntnis.
    Der Kraterkamm war verschwunden.
    Nein, nicht verschwunden. Verschluckt. Von einer Wand aus Staub, die seine oberen Ränder einhüllte und dem Himmel entgegenwuchs, die Sterne fraß, sich kilometerhoch reckte, höher und immer höher, unwirklich, bizarr, ein Bild des Grauens –
    Die Hänge herabkroch.
    Kroch?
    »Ach du Scheiße«, flüsterte Hedegaard.
    Unversehens hatte sich die Wand in eine riesige Welle verwandelt, die nach allen Seiten über den Kraterwall drängte und der Ebene entgegen raste. Hedegaard hatte keine Vorstellung davon, wie schnell sie unterwegs war, doch gewiss näherte sie sich zehn, zwanzig, dreißig Mal schneller, als ihr armseliger Hopper fliegen konnte. Einen Moment lang war sie wie gelähmt, unfähig, den Blick abzuwenden, dann riss sie das Gefährt herum und prügelte es zurück zu dem kleinen, namenlosen Krater. Nach der Höllenfahrt aus dem Rumpf der Kallisto kam es ihr nun vor, als krieche der Hopper dahin. Erneut riskierte sie einen Blick, und Sylvester war verschwunden. Nur noch heranrasender Staub, der den Himmel verschlang und alles, was im Weg lag.
    Schneller. Schneller!
    Der Kraterwall, ihr Schutzwall!
    Verzweifelt zog sie den Grasshopper hoch, der müde die Böschung erklomm, als habe er die Hektik der letzten Minuten satt. Seine Teleskopfüße schrammten über Gestein, er schwankte hin und her, dann tat er einen Satz und schoss über die Kuppe. Hedegaard breitete die Arme aus und sprang von der Plattform. Ihr Körper schlug auf abschüssigen Regolith, kullerte kraterwärts, über einen Vorsprung hinweg. In hohem Bogen fiel sie, landete ein erhebliches Stück weiter unten im Schatten einer fast senkrechten Wand, sah aus den Augenwinkeln den sich überschlagenden Grasshopper. Die Füße ins Geröll gestemmt, schaffte sie es, ihre Talfahrt zu stoppen. Sie robbte in den Schutz eines Überhangs und kauerte sich zusammen.
    Über ihr bedeckte sich der Himmel.
    Im nächsten Moment war alles grau. Hagelschauer kleiner und kleinster Steine prasselten in die Kraterebene. Hedegaard machte sich so klein, wie es nur ging, von dem Überhang gegen die Druckwelle und die Trümmer geschützt, doch die einschlagenden Geschosse wirbelten ihrerseits Regolith auf, der in ihre Richtung zurückspritzte. Schützend schlug sie die Arme vor den Helm und hoffte, dass sich der Anzug dem Inferno gewachsen zeigen würde, sah gar nichts mehr, nur noch dichtes, wirbelndes Grau in Grau, schloss die Augen. Die Wand raste über sie hinweg.
     
    Wie lange sie dagelegen hatte, wusste sie nicht. Als sie es endlich wagte, die Arme vom Visier zu nehmen, hatten die Einschläge aufgehört, und eine trübe und zugleich gleißende Glocke stand über allem.
    Sie rappelte sich hoch und streckte die Gliedmaßen. Unfassbar, dass sie noch lebte. Dass nichts gebrochen war. Sie schien tatsächlich vollkommen unversehrt.
    Sie hatte eine Atombombe überlebt.
    Dafür allerdings saß sie jetzt ohne Fortbewegungsmittel in einem Krater ohne Namen, fernab vom Peary. In ihrem Kraterchen, das ihr Leben gerettet hatte. Mit einem intakten Anzug, Funk und Sauerstoff für die nächsten Stunden, bis die Io sie fand. Wenigstens hoffte sie, dass man sie suchen und ihren Tod nicht voraussetzen würde.
    Erst mal, entschied sie, musste sie raus aus dem Krater. Besser für die Funkverbindung, wenn die Io aufkreuzte.
    Ergeben machte sie sich an den Aufstieg.
     

LONDON, GROSSBRITANNIEN
     
    Tut mir leid, Yoyo

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