Limit
durch und lernt eine Gruppe Studenten kennen, die im postrevolutionären China das Pflänzchen demokratischen Gedankenguts hochpäppeln und ihn mit den Schriften Wie Jingshengs und Fang Lizhis vertraut machen – Fünfte Modernisierung, Öffnung der Gesellschaft, all das verlockende, verbotene Gedankengut.«
»Hongbing war in der Demokratiebewegung?«
»Oh ja!« Tu nickte eifrig. »An vorderster Front, lieber Owen. Ein Kämpfer! 20. Dezember '86, 70.000 Shanghaier gehen auf die Straße gegen die manipulierte Besetzung der Volkskongresse durch die Partei, und Hongbing bildet die Spitze. Ein Wunder, dass sie ihn damals nicht schon einkassiert haben. Inzwischen hat er Arbeit in einer Reparaturwerkstatt gefunden, macht die Karossen der Kader flott, gewinnt einflussreiche Freunde und verliert seine letzten Illusionen, denn diese Manager des neuen China könnten die Korruption erfunden haben. Aber egal. Erst mal. Sagt dir der 15. April 1989 was?«
»Der 4. Juni sagt mir was.«
»Ja, aber es beginnt früher. Hu Yaobang stirbt, ein Politiker, in dem die Studenten immer einen Freund gesehen hatten, zumal er parteiintern zum Sündenbock für die Unruhen von '86 gemacht worden war. Um seiner zu gedenken, setzen sich Tausende Pekinger in Bewegung und betrauern den Verblichenen auf dem Platz des Himmlischen Friedens, und die vertrauten Forderungen werden wieder laut: Demokratie, Freiheit, womit man alte Männer an der Macht halt ärgern kann. Die regimekritische Stimmung infiziert andere Städte und natürlich auch Shanghai, und wieder reckt Hongbing die Faust und organisiert Proteste. Deng verweigert der Studentenschaft den Dialog, die Demonstranten treten in den Hungerstreik, der Platz des Himmlischen Friedens wird zum Nukleus volksfestartigen Treibens, Aufbruchstimmung, gefühlter Wechsel, ein Happening, das Hongbing mit eigenen Augen sehen will. Eine Million Menschen haben den Platz inzwischen besetzt. Journalisten aus aller Welt sind zugegen, zu allem Überfluss trifft auch noch Michail Gorbatschow ein mit seinen Ideen von Perestroika und Glasnost. Die Partei steckt ganz schön in der Klemme.«
»Und Hongbing mittendrin.«
»Dennoch hätte alles friedlich ausgehen können. Ende Mai will das Gros der Pekinger Studenten die Bewegung auflösen und sich mit Dengs Demütigung zufriedengeben, aber Angereiste wie Hongbing beharren auf der Durchsetzung aller Forderungen, und das lässt die Sache eskalieren. Der Rest ist bekannt, über das Tian'anmen-Massaker muss ich dir nicht viel erzählen. Und wieder hat Hongbing unverschämtes Glück. Nichts geschieht ihm, weil sein Name auf keiner schwarzen Liste zu finden ist. Aller Illusionen beraubt, kehrt er nach Shanghai zurück, beschließt, sich wieder mehr um seinen Job zu kümmern, und bringt es zum Stellvertreter des Werkstattleiters. Über die Jahre ist es eine schöne und große Werkstatt geworden, die neureiche Schicht verschmäht den Tritt in die Pedale, und keiner versteht so viel von Autos wie Hongbing. Hier und da wird ihm die Arbeit im Bordell vergolten, hohe Kader laden ihn zum Essen ein, betuchte Funktionäre hätten nichts dagegen, den gut aussehenden Burschen ihre Tochter schwängern zu sehen.«
»Somit hatte er sich mit den Umständen arrangiert.«
»Bis zum Winter '92, als Chen De den Kopf, den er so oft versucht hat, aus der Schlinge zu ziehen, in eine solche steckt. Depressionen. Wegen seiner toten Frau, weißt du, und weil die Revolution seine Familie zerstört hat. Hongbing entbrennt in Selbsthass. Auf seinen ungeliebten Namen, auf sein schales Tête-à-Tête mit den Ganbei schreienden Profiteuren, die sich das Interesse an der Demokratiebewegung haben abkaufen lassen. Er will ein Zeichen setzen. Im Jahr zuvor ist der Dissident Wang Wanxing verhaftet worden, weil er am Jahrestag des Tian'anmen-Massakers ein Transparent für die Rehabilitierung der damals ermordeten Demonstranten entrollt hat, mitten auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Und wieder jährt sich Tian'anmen, 4. Juni 1993, und Hongbing demonstriert mit ein paar Gleichgesinnten für Wangs Freilassung, ein kleines, überschaubares Ziel, wie er findet, dem vielleicht bessere Aussichten auf Erfolg beschieden sind, als immer gleich dem ganzen System ans Bein zu pinkeln, und siehe da, ihm wird Beachtung zuteil. Nur leider von der falschen Seite.«
»Er wird verhaftet.«
»Vom Fleck weg. Und nun kommt der perfide Teil, auch wenn du sagen magst, dass es bis hierhin schon perfide genug war, aber das
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