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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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an dem Abend, als er sich umbringen wollte aus Verzweiflung, nur ein drittklassiger Künstler zu sein. Der Markt hat entschieden, der Markt hat Recht, und dieses unerbittliche Recht lässt den guten, willensschwachen Seelen seiner Jugendfreunde keinerlei Chance. Eine große Traurigkeit überkommt ihn plötzlich und irgendetwas wie Mitleid. Er, der sich rühmt, die Schwachen zu verachten, er hat Mitleid mit der Schwäche. Er hat Mitleid mit der guten, willensschwachen Seele von Igor, mit jener der Klofrau im Schwarzmarkt-Restaurant und der seines ganzen Volks. Er, der stark und böse ist, möchte etwas tun können, um die gute, willensschwache Seele Igor Woroschilows, der Klofrau im Schwarzmarkt-Restaurant und seines ganzen Volks vor den Starken und Bösen zu beschützen.
    Von jeder Telefonzelle aus versucht er, Nataschas Mutter anzurufen, und, welch ein Wunder, plötzlich antwortet sie. Er stellt sich vor und fragt, wo Natascha sei, und ihre Mutter bricht in Schluchzen aus: Natascha sei dagewesen, zwei Tage geblieben und wieder gegangen, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Auch ihre Mutter macht sich fürchterliche Sorgen. Eduard schlägt vor, zu ihr zu kommen. Sie wohnt weit weg, er nimmt die Metro und beruhigt sich ein wenig darin: An diesem Ort fühlt er sich endlich weniger bedrückt. Nachdem er lange durch die verschneiten Alleen eines Gebäudekomplexes aus der Chruschtschow-Ära irrt, landet er in einer winzigen, mit manischer Sorgfalt aufgeräumten Einzimmerwohnung mit Klassikerausgaben hinter Glasvitrinen wie bei seinen Eltern. Nataschas Mutter ist eine kleine, verlebte Dame, die sich vor Sorge verzehrt und auf ihn zählt, auch wenn sie ihm mit Misstrauen begegnet, denn wenn nicht er ihre Tochter wiederfindet, wer dann? Ihr Visum sei wahrscheinlich abgelaufen und man müsse mit dem Schlimmsten rechnen, wobei die Mutter nur an den Alkohol denkt, der schon ihren Mann, Nataschas Vater, umgebracht hat. Sie ahnt nichts von der Nymphomanie ihrer Tochter und ihrer manisch-depressiven Veranlagung, aufgrund derer sie monatelang brav zu Hause bleiben und Gedichte schreiben kann und auf einmal für vier, fünf Tage verschwindet, um mit irgendjemandem zu ficken und verstört und zerrüttet zurückzukehren, mit einem von Blut und Scheiße braungefärbten Slip. Eduard sagt der Mutter nichts davon, es ist nicht nötig, noch eins draufzusetzen, die engen Wände der kleinen Wohnung triefen schon vor der Angst der Mutter, aber er sagt sich, er selbst würde vielleicht besser leben, wenn er Natascha nicht wiederfände und sie vollständig aus seinem Leben verschwände. »Lieben Sie sie?«, fragt die Mutter plötzlich wie Vitez, und wie Vitez antwortet er ihr: »Sie ist meine Frau. Ich kümmere mich seit sieben Jahren um sie, da werde ich jetzt nicht damit aufhören.« Daraufhin umarmt und küsst sie ihn, sie segnet ihn und sagt ihm, er sei ein guter Mann. Das zu hören ist er nicht gewohnt, aber zumindest für seine Liebesbeziehungen, denkt er, trifft es zu.
    Nataschas Mutter gibt ihm die Adresse einer früheren Klassenkameradin ihrer Tochter, die möglicherweise etwas wissen könnte. Eine Dreiviertelstunde Metro und eine halbe Stunde Fußmarsch bei minus fünfzehn Grad in einer leichten Jacke. Es ist bereits nach Mitternacht, als er in einem von Künstlern besetzten Haus ankommt, wo Leute herumlaufen, die weniger das Aussehen von Künstlern haben, nicht einmal von heruntergekommenenKünstlern, sondern eher das von Taschendieben oder Drogendealern, was sie zweifellos auch sind. Die Freundin, eine schrille, zerwuselte Blonde mit schwarzen Haarwurzeln, hat Eduards Foto in Top secret gesehen, und Natascha hat ihr von ihm erzählt – offensichtlich nichts Gutes, denn vom ersten Kontakt an ist klar, dass sie ihn hasst. Dennoch setzen sie sich in die Küche und trinken Wodka, und die Freundin genießt es offensichtlich, ihm zu erzählen, dass seine Frau tatsächlich in Begleitung zweier Typen bei ihr gewesen sei, dass sie unter dem Vorwand, es sei zu weit, um nach Hause zu gehen, zum Schlafen dageblieben sei, dass sie die ganze Zeit nackt herumgelaufen sei und nackt auf dem Klositz geraucht habe und dabei gleichzeitig einem der zwei Kerle einen runterholte, während der andere versucht habe, sie, die Freundin, flachzulegen. Eduard denkt: Diese Freundin ist eine bösartige Frau, eine dieser russischen Huren, deren einziges Glaubensbekenntnis lautet, der Mann ist ein Feind und ihn leiden zu lassen ein Sieg. Er sollte aufstehen und

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