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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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Kämpfe zwischen Serben und Kroaten im Frühjahr 1992 vorübergehend zum Ende kamen und stattdessen in Bosnien fortgeführt wurden, begann man sich besser zurechtzufinden, zumindest in den Milieus, die ich frequentierte. Die Serben, die in Belgrad von dem grauenhaften Präsidenten Milošević und vor Ort von dem fragwürdigen Radovan Karadžić fanatisiert wurden, waren endgültig die Bösen in der Geschichte, während die Moslems in Bosnien, die ein Mann mit einem gewissen Alter und einem schönen Humanisten-Gesicht, Alija Izetbegović, anführte, zur Zielscheibe einer widerlichen Aggression wurden – zu dieser Zeit benutzte man noch einen so schwachen Ausdruck, bald darauf zog man den des Völkermords vor. Diese blonden Moslems mit blauen Augen, die in von Büchern überbordenden Zimmern klassische Musik hörten, waren ideale Moslems, man hätte ebensolche gern bei uns gehabt, und sie waren es, denen man das Verdienst um eine harmonische Vielvölkergesellschaft zuschrieb, die Sarajewo zu einem Symbol jenes Europas gemacht hatte, als das man es immer noch gern sehen wollte. Im besorgten Wunsch, dieses Europa zu verteidigen, und leidenschaftlich angestachelt von der Erinnerung an den Krieg in Spanien, fingen mehrere Personen um mich herum an, regelmäßig ins besetzte Sarajewo zu fahren, in bombardierten Häusern ohne Waschmöglichkeit zu schlafen, unter dem Beschuss von Heckenschützen im Zickzack auf Straßen mit aufgerissenen Gehsteigen entlangzurennen, sich mit dem Hintergedanken zu betrinken, dass vielleicht ihr letztes Stündlein geschlagen hatte und sich nicht selten, der Ort eignete sich dafür, zu verlieben.
    Im Nachhinein frage ich mich, warum ich mir etwas so Romantisches und Ruhmreiches versagt habe. Ein bisschen aus Schiss: Ich wäre sicher hingefahren, hätte ich nicht in dem Moment, als es mir angetragen wurde, erfahren, dass man Jean Hatzfeld gerade ein Bein amputiert hatte, nachdem er dort eine Salve aus einer Kalaschnikow abbekommen hatte. Aber ich will mir keine Vorwürfe machen: Es war auch Umsicht dabei. Ich war misstrauisch, denn ich hege immer Misstrauen gegen eherne Bündnisse – und seien sie auf den kleinen Kreis beschränkt, der mich umgibt. Auch wenn ich mich einer grundlosen Gewalt wirklich nicht für fähig halte, so stelle ich mir doch gern und vielleicht zu oft die Gründe oder das Zusammentreffen von Umständen vor, die mich zu anderen Zeiten in die Kollaboration, den Stalinismus oder die Kulturrevolution hätten treiben können. Vielleicht neige ich auch übertrieben zu der Frage, ob einige der Werte, die in meinem Milieu als selbstverständlich gelten und von Leuten meiner Zeit, meines Landes und meiner sozialen Klasse als unhintergehbar, ewig und universell angesehen werden, nicht eines Tages grotesk, skandalös oder schlicht falsch erscheinen könnten. Wenn zwielichtige Leute wie Limonow oder seinesgleichen behaupten, die Ideologie der Menschenrechte und der Demokratie sei das exakte heutige Pendant zum katholischen Kolonialismus – dieselben guten Absichten, dieselbe Redlichkeit, dieselbe absolute Überzeugung, den Wilden das Wahre, Gute und Schöne zu bringen – dann bin ich von diesem relativistischen Argument nicht begeistert, aber ich habe ihm auch nichts wirklich Stichhaltiges entgegenzusetzen. Und da ich in politischen Fragen schnell die Meinung des letzten Redners übernehme, hörte ich den feinsinnigen Geistern aufmerksam zu, die erklärten, Izetbegović, der als Toleranzapostel hingestellt wird, sei in Wirklichkeit ein fundamentalistischer Moslem, der sich mit Mudjahidins umgibt und entschlossen ist, in Sarajewo eine islamische Republik zu errichten, und er hege im Gegensatz zu Milošević ein lebhaftes Interesse daran, dass die Belagerung und der Krieg so lange wie möglich andauerten. Die Serben hätten in ihrer Geschichte lange genug das ottomanische Joch ertragen, sodass man verstehen müsse, dass sie sich Ähnliches nicht noch einmal aufhalsen wollen. Und letztlich sei auf allen von der Presse veröffentlichten Fotos, die Opfer der Serben zeigen sollten, jeder zweite, wenn man genauer hinschaute, ein serbisches Opfer. Ich nickte: Ja, es ist komplizierter, als man meint.
    Daraufhin hörte ich, wie sich Bernard-Henri Lévy genau gegen diese Formulierung erhob und argumentierte, sie rechtfertige sämtliche diplomatischen Feigheiten, alle Rücktritte und jedes Zaudern. Wer denen, die die ethnischen Säuberungen von Milošević und seiner Clique anprangerten, mit

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