Limonow (German Edition)
Karadžić rezitiert nachdenklich einige Verse einer Ode, die er zwanzig Jahre zuvor geschrieben hat und in der er ein den Flammen preisgegebenes Sarajewo beschreibt. Er lässt einen Augenblick des Schweigens folgen, der geschwängert ist vom Geheimnis einer Vorahnung, und unterbricht es, weil man den Präsidenten am Telefon verlangt. Seine Frau ist dran. Er sondert sich ab, um aus dem Wrack einer halbausgebrannten Seilbahn-Gondel, in der man das Feldtelefon eingerichtet hat, zu antworten. Er sagt: »ja, ja«, und man spürt sein Genervtsein. Ein Soldat spielt inzwischen mit einem kleinen Hund (ich beschreibe die Sequenzen des Films), und Limonow, der sich selbst überlassen bleibt, scharwenzelt um einen anderen Soldaten herum, der gerade sein Maschinengewehr schmiert. Da der Soldat seine Faszination bemerkt und zweifellos darauf bedacht ist, dem prominenten Gast Ehre zu erweisen, bietet er ihm an, es auszuprobieren. Eduard nimmt wie ein Kind hinter dem Maschinengewehr Platz. Brav schaut er zu, wie der Soldat ihm die richtige Einstellung erklärt. Und, immernoch wie ein Kind, das sich ermutigt fühlt, wenn ein Erwachsener lacht und ihm auf die Schulter klopft, verliert er schließlich jede Hemmung und leert ta-ta-ta-ta-ta das Magazin in Richtung der belagerten Stadt.
Ich habe den Film nicht gesehen, als er im französischen Fernsehen gezeigt wurde, aber schnell machte das Gerücht die Runde, dass darin Limonow zu sehen sei, wie er auf den Straßen von Sarajewo Passanten abknalle. Als er fünfzehn Jahre später dazu befragt wird, zuckt er mit den Schultern und sagt: Nein, er habe nicht auf Passanten, sondern in Richtung der Stadt geschossen, aber ins Leere, in die Luft.
Aufmerksam betrachtet geben ihm die Bilder eher recht. Eine Totale am Anfang der Sequenz zeigt, dass sich die Szene auf einer Anhöhe in einer recht großen Entfernung abspielt, von wo aus man mit MG s auf Gebäude schießt, nicht aber weiter hinunter in die Straßen; auf die Passanten zielen Heckenschützen. Doch auf die Aufnahme von Limonow, der sich mit seinem MG prima amüsiert, folgt eine Ansicht der Stadt aus plötzlich deutlich geringerer Entfernung, und dieser Maßstabswechsel, der wie ein Schwenk präsentiert wird, ist etwas tückisch. Die Frage, ob es Limonow irritiert hätte, wirklich auf Menschen zu schießen, und ob er es in anderen Situationen getan hat, bleibt offen. Sicher aber ist, dass ihn diese Bilder und die Geschichten, die sich darum rankten, bei seinen Pariser Freunden vom Status des charmanten Abenteurers auf den eines Quasi-Kriegsverbrechers sinken ließen. Und sicher ist auch, dass mich Serbian Epics , als ich Pawel Pawlikowski kontaktierte und von ihm die DVD bekam, in einem solchen Maß ernüchterte, dass ich dieses Buch für ein Jahr aufgab. Nicht so sehr deswegen, weil man meinen Helden darin ein Verbrechen begehen sieht – tatsächlich sieht man nichts dergleichen –, sondern weil er lächerlich ist. Ein kleiner Junge, der auf dem Jahrmarkt den starken Kerl markiert. Das, was Jean Hatzfeld in seiner Typologie der Spinner, die sich vom Krieg angezogen fühlen, einen Mickey nennt.
Über Limonows Aufenthalt in Sarajewo ist noch eine weitere unangenehme Geschichte im Umlauf. In einem Restaurant von Pale namens Kon-Tiki nimmt er an einem Bankett von Offizieren teil, die sich zuprosten und trinken wie die Husare von Lermontow. Ein Geiger auf einem Podest erheitert die Gesellschaft: Es ist ein muslimischer Gefangener. Irgendwann amüsieren sich die Serben damit, ihn zu zwingen, einen dieser Tschetnik -Gesänge zu begleiten, die man in Pawels Film hört und in denen davon die Rede ist, die Häuser der Türken in Brand zu setzen. Limonow – so zumindest erzählt er es – empfindet das von mittelgutem Geschmack, und um den Geiger aufzurichten, geht er zu ihm hin und bietet ihm ein Glas Rakija an, den örtlichen Rachenputzer. Der andere antwortet trocken, seine Religion verbiete ihm, Al-kohol zu trinken. Von seinem Tritt ins Fettnäpfchen peinlich berührt, will Limonow sich zurückziehen, aber ein Serbe, der das Gespräch verfolgt hat, setzt noch eins drauf: »Mach, was mein russischer Freund dir sagt! Trink! Wirst du endlich trinken, du türkischer Hund?«
Man kann sich vorstellen, was folgt: Es ist grauenhaft.
Den Rest des Abends fühlt Eduard den finsteren Blick des Geigers auf sich ruhen. Dieser hat seinen gutgemeinten Ausrutscher als mutwillige Beleidigung aufgefasst; und was er vonseiten der Serben vielleicht
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