Limonow (German Edition)
sogar verstehen könnte, denn diese sind seine Feinde und er würde sie genauso grausam behandeln, wenn die Rollen vertauscht wären, erscheint ihm seitens eines Ausländers weitaus unverzeihlicher. Eduard fühlt sich so unwohl, dass er im Verlauf des Abends noch einmal zu dem Geiger hingeht, um sich zu erklären und zu rechtfertigen, aber der andere sagt kalt zu ihm: »Ich hasse dich. Verstehst du? Ich hasse dich.« Und Eduard antwortet: »O. k. Du bist ein Gefangener, und ich bin frei. Ich kann mich nicht mit dir schlagen, also muss ich das einstecken. Du hast gewonnen.«
Was soll man von dieser Geschichte halten? Zunächst einmal, dass sie wahr sein muss, und zwar so, wie er sie erzählt, denn nichts zwang ihn dazu, sie zu erzählen. Aber es ist komplizierter. Tatsächlich wurde sie zuerst von einem Zeugen berichtet, einem ungarischen Fotografen, der damit einen Zug von würdeloser Grausamkeit an Limonow beschrieb. Die Geschichte macht die Runde. Wenn man bei Google »Limonow« eingibt, stößt man unweigerlich darauf. Eduard war also durchaus gezwungen, seine eigene Version davon abzugeben, und es kann sein, dass dieser Fauxpas, zu dem ein fürchterliches Missverständnis hinzukommt, das Plausibelste war, was er finden konnte, um eine tatsächliche Schandtat zu überdecken, die er im Feuer seiner guten Tschetnik -Laune beging und für die er sich zu Recht schämt. Ich persönlich glaube es nicht, denn ich halte Eduard weder für niederträchtig noch für einen Lügner – aber wer weiß?
VII
Moskau,
Paris,
Republik Serbische Krajina,
1990–1993
1
Während der letzten Monate seines Lebens beschwor der erschöpfte Sacharow Gorbatschow immer wieder: »Die Wahl ist einfach, Michail Sergejewitsch. Entweder Sie schließen sich den Demokraten an, von denen Sie wissen, dass sie recht haben, oder Sie schließen sich den Konservativen an, von denen Sie nicht nur wissen, dass sie unrecht haben, sondern auch, dass die Sie verraten werden. Es hilft nichts, die Dinge hinauszuzögern.« »Ja, ja, Andrei Dimitrijewitsch«, seufzte Gorbatschow ein wenig verärgert und schwer daran schluckend, dass die Umfragen Sacharow als populärsten Mann des Landes auswiesen. »All das ist ja gut und schön, aber das Problem ist doch erst einmal, die Partei zu reformieren.« »Ganz und gar nicht«, antwortete Andrei Dimitrijewitsch mit seiner klaren Stimme. »Das Problem besteht nicht im Geringsten darin, die Partei zu reformieren, sondern sie aufzu lösen. Das ist die erste Bedingung für ein normales politisches Leben.«
Wenn man Gorbatschow derartige Dinge sagte, hörte er nicht mehr zu. Die Partei, also immerhin … Er lavierte weiter als ein Politiker, der versucht, es allen recht zu machen; an einem Tag hielt er sich für den Papst, am nächsten für Luther, und das Ergebnis war, dass ihn sowohl die Demokraten als auch die Konservativen hassten. Die bei uns gebräuchlichen politischen Zuordnungen sind recht schwer auf Russland zu übertragen, rechts und links bedeutet nicht viel, und doch erscheinen mir diese Bezeichnungen nicht ganz unpassend. Letztlich wollten die Demokraten die Demokratie, und die Konservativen wollten die Macht erhalten. Die Ersteren, meist junge, intellektuelle Leute aus den Städten, hatten Gorbatschow zu Anfang bewundert, aber da er nicht wagte weiterzugehen, waren sie enttäuscht. Beim 1. Mai-Umzug 1990 auf dem Roten Platz buhten sie ihn sogar aus. Das wurde inzwischen hingenommen, und es ist eine erschütternde Vorstellung, dass der Mann, dem das Volk immerhin seine Haftentlassung verdankte, nun die Beleidigungen einstecken musste, die man vormals gern Breschnew und seiner Clique an den Kopf geworfen hätte, es aber nicht gewagt hatte: Auf den Abfallhaufen mit der Partei! Und Gorbatschow mit der Partei!
Doch diese Unzufriedenen waren nicht die Gefährlichsten. Als bei Sacharows Beerdigung ein junger Mann den Verstorbenen mit Obi-Wan Kenobi verglich und Gorbatschow mit einem ungeschickten Jedi, fragte ihn der Journalist, wen er denn in der Rolle des Darth Vader sehe, und der junge Mann antwortete, es gebe leider nicht wenige Anwärter darauf. Tatsächlich hatte man im Politbüro und in dem militärisch-industriellen Komplex die Qual der Wahl, was Hardliner betraf – wie die Angelsachsen Konservative nennen, die keine Witze machen. Aber entsprechend der großen sowjetischen Tradition waren sie derart grau und bar jeglichen Charismas, dass sie den Medienerfolg eines ihrer Handlanger möglich machten,
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