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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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den Worten antworte »es ist komplizierter, als man meint«, sage im Grunde: Ja, zweifellos haben die Nazis die Juden Europas ausgelöscht, aber wenn man genauer hinschaut, ist es komplizierter, als man meint. Nein, brauste Bernard-Henri Lévy auf, es ist nicht komplizierter, es ist ganz im Gegenteil tragisch einfach – und auch da nickte ich.
    Ich erinnere mich, damals ein schmales Buch mit dem unmissverständlichen Titel Mit den Serben überflogen zu haben, das von einem Dutzend französischer Schriftsteller – Besson, Matzneff, Dutourd und vielen vom L’idiot  – mitunterzeichnet worden war, die damit auf die Verteufelung eines ganzen Volks reagierten, »das von den Herren der neuen Weltordnung (das heißt den Amerikanern) als Sündenbock benutzt wird, um ihre terroristische Dominanzherrschaft zu festigen«. Das Unternehmen war mir mutig erschienen – aber auch nicht mehr –, denn für die Autoren war daraus kein Profit zu schlagen. Diese Tatsache lässt ihre Thesen nicht besser dastehen, ich weiß. Und doch: Es war kein Profit daraus zu schlagen, ein Leugner von Völkermorden zu sein, so wenig wie 1945 einer daraus zu schlagen war, sich als Faschist zu bezeichnen, wie es nach der Hinrichtung von Robert Brasillach dessen Schwager Maurice Bardèche tat, der sich unter der deutschen Besatzung mehr oder weniger still verhalten hatte und bei der Befreiung hätte darauf hoffen können, sich unbehelligt aus der Affäre zu ziehen. Dieser Mut hat nichts mit Weitblick zu tun, ich finde ihn idiotisch, und doch ist es Mut. Da ich große Schwierigkeiten hatte, diesen Teil meines Buchs anzugehen und, um mich dafür zu wappnen, immer mehr Bücher, Recherchen und Dokumentationen anhäufte, machte ich mich auch noch einmal an die Lektüre dieses Pamphlets, und es wirkte auf mich immernoch genauso wie fünfzehn Jahre zuvor. Man findet einen Kern an traditioneller französischer Serbophilie darin, die übrigens auch jene Mitterrands war (»Welchen Nutzen wird Frankreich daraus ziehen, sich mit alten Kameraden – den Serben – überworfen zu haben zugunsten von Leuten – Bosniaken und Kosovaren –, die diesem Land nichts bedeuten und es Frankreich in keiner Weise danken werden?«, so Jean Dutourd), während die Argumente der Jüngeren auf die Behauptung hinausliefen: Ich bin selbst in Belgrad gewesen; die Mädchen dort sind hübsch, der Sliwowitz fließt in Strömen, es wird bis spät in die Nacht hinein gesungen, und die Leute sind ganz und gar nicht barbarisch, sondern stolz, zurückhaltend und verletzt, bei aller Welt in einem so schlechten Licht zu stehen, angefangen bei den Franzosen, die sie immer als ihre Freunde betrachtet hatten. In Ordnung, dachte ich, aber das ist nicht die Frage; und wenn ich, der ich nicht dort gewesen bin, mich schon von dem Argument »ich war da« beeindrucken lassen sollte, überzeugte es mich mehr, wenn es von Leuten kam, die direkt an der Front gewesen waren, und zwar auf beiden Seiten oder auf dreien statt im Hinterland einer einzigen, und nicht nur ein paar Tage, sondern mehrere Monate. Im Grunde waren die einzigen Zeugen, denen ich vertraute – und das, wenn ich sie heute wiederlese, zu Recht – die beiden Jeans: Rolin und Hatzfeld.
    Ich glaube, keiner von beiden befände sich auf diesen Seiten gern in der Rolle des positiven Helden. Dennoch. Ich bewundere ihren Mut, ihr Talent und vor allem, dass sie wie ihr Vorbild George Orwell die Wahrheit dem vorziehen, was sie gern für die Wahrheit halten würden. So wenig wie Limonow täuschen sie darüber hinweg, dass der Krieg etwas Aufregendes ist, und dass man – sofern man die Wahl hat – nicht aus Tugend, sondern aus Lust in den Krieg zieht. Sie lieben das Adrenalin und das Sammelsurium an Spinnern, das man an allen Frontlinien findet. Das Leid der Opfer, egal welchen Lagers, bewegt sie, und doch können sie selbst die Gründe, die die Henker antreiben, bis zu einem gewissen Grad verstehen. Da sie der Komplexität der Welt mit Neugier begegnen, würden sie ein Detail, das ihrer Meinung zuwiderläuft, eher besonders herausgreifen als es zu verstecken. Und so kehrte Jean Hatzfeld, der aus manichäischem Reflex glaubte, aus einem Hinterhalt von serbischen Heckenschützen getroffen worden zu sein, die sich einmal einen Journalisten leisten wollten, nach einem einjährigen Aufenthalt im Krankenhaus nach Sarajewo zurück, um weiter zu ermitteln; und das Ergebnis dieser Ermittlung war, dass die Schüsse, die ihn sein Bein

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