Limonow (German Edition)
sie gehören trotz allem zur Geschichte: Krjutschkow, Jasow, Pugo und Janajew –, und sie beginnen sogleich ein großes Durcheinander anzurichten, denn sie legen die Macht in die Hände des erbärmlichsten von ihnen: Vizepräsident Janajew. Der Unglückliche verlebt die folgenden vier Tage in einem solch panischen Zustand, dass man ihn mit Gewalt aus dem Büro, in dem er sich eingeigelt hat, zerren muss, um eine Pressekonferenz im Fernsehen abzuhalten. Trotz des Versuchs einer Mediensperre auf althergebrachte Art bekommt man ihn mit zitternden Händen und verstörtem Blick als Triumphator präsentiert zu sehen, während er längst besiegt ist. Dieser Eindruck einer Farce ist das Seltsamste an diesem Putsch vom August 1991. Er ist auf die Persönlichkeit der Verschwörer zurückzuführen, die talentlos und vor allem schwere Säufer waren. Sehr schnell waren sie betrunken. Nicht trunken vor Macht, nein: blau. Sternhagelvoll. Stockbesoffen. Und schwermütig vom Alkohol spürten sie ebenso schnell, dass das Ganze nicht funktionieren würde, dass sie dabei waren, eine Riesendummheit zu begehen, aber keine Zeit mehr hatten umzukehren. Der Alarm war gegeben, die Panzer rollten in Moskau ein, man musste weitermachen – doch sie taten es nur mit halbem Herzen. Lieber hätten sie sich mit ein paar Aspirin und einem Glas saure Gur ken hingelegt, die Decke über den Kopf gezogen und gewartet, dass alles vorbei sei.
Im ersten Augenblick allerdings befürchteten die Demokraten, was sie seit einigen Jahren schon aufgehört hatten zu befürchten: dass sich nach diesem zweiten Tauwetter wieder Packeis bilden könnte und man verrückt gewesen war, dem Frieden getraut zu haben und nicht geflüchtet zu sein, solange es möglich war. Der Putsch hätte gelingen können. Alles hing von der Armee ab. Die eingezogenen Jugendlichen, die den Befehl bekommen hatten, auf Moskau zuzumarschieren, hatten fürchterliche Angst, dasselbe tun zu müssen, was ihre Väter 1968 in Prag getan hatten, und es bedurfte großen Muts ihrerseits, um nicht auf ihre Chefs, sondern auf Jelzin zu hören, der sie drängte, auf der Seite des Gesetzes und des Staats zu bleiben.
Mit einem außergewöhnlichen Spürsinn für Symbole organisierte Jelzin den Widerstand vom Parlamentssitz aus, den man in Moskau das Weiße Haus nennt, und während dieser historischen Tage rückte für die ganze Welt ein anderes Weißes Haus in den Mittelpunkt als das in Washington. Dieses Weiße Haus wurde zum Schauplatz des Kampfs für die Demokratie in Russland. Zu den ruhmreichen Sinnbildern vom August 1991, die jenen des Ballhausschwurs oder eines Bonaparte auf der Pont d’Arcole ebenbürtig sind, gehört das Foto Jelzins auf einem Panzer vor dem Weißen Haus. Es gehört Rostropowitsch dazu, der herbeigeeilt war, um vor Jelzins Büro im Weißen Haus Wache zu stehen. Es sind die Massen von Moskauern, die zur Verteidigung des Weißen Hauses gekommen waren, Barrikaden errichteten und mit ihren Körpern einen Wall für die Freiheit bildeten. Es sind die Panzer, die im Rückwärtsgang fahren, Mädchen, die Soldaten küssen und ihnen Blumen in die Gewehrläufe stecken. Und es ist das ungeheuer erleichterte Durchatmen am vierten Tag, weil der Alptraum nicht Wirklichkeit geworden war und man fortfahren würde, in Freiheit zu leben.
Die jungen Leute aus den Städten, jene, die Star Wars heranzogen, um sich die Geschichte ihres Landes zu erzählen, erinnern sich zwanzig Jahre später an den August 1991 als an einen der größten Momente ihres Lebens: ein absolut schauerlicher Gruselfilm, der ein berauschendes Ende fand. Die Ud SSR kehrt zurück: ein Super-Tief. Die Ud SSR geht in Lächerlichkeit unter: ein Super-Hoch. Denn es war auch gut, gut und gerecht, dass die Erben von siebzig Jahren Unterdrückung nicht in einer Wagnerischen Götterdämmerung verdufteten, sondern in Lächerlichkeit. Kasperles, die definitiv keinem mehr Angst machten. Die in der ganzen Welt nur von Castro, Gaddafi und Saddam Hussein unterstützt wurden, den einzigen Überlebenden aus dem Club der toten Dichter – aber auch von unserem Präsidenten Mitterrand, dem Fürsten der feinsinnigen Geister, der seinen Machiavellismus bis zur Dummheit trieb und der, als man ihm seine übereifrigen Glückwünsche an diejenigen vorwarf, die er schon als neue Herren der Ud SSR betrachtete, überheblich antwortete, man solle sie an ihren Taten messen – als ob ein Putsch keine Tat sei und eine bedeutsame noch dazu.
Die
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