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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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der heute ziemlich in Vergessenheit geraten ist: Oberst Viktor Alksnis.
    Eduard lernte ihn während eines kurzen Aufenthalts in Moskau auf einer Fernsehbühne kennen. Man hatte die beiden eingeladen, in einer Runde von Demokraten, ehemaligen Dissidenten und Memorial-Leuten den Part der Anti-Gorbatschows vom Dienst zu übernehmen. In schwarzes Leder gekleidet und mit einem wild verzerrten Grinsen sah Alksnis wie ein nicht sehr begabter Schauspieler aus, der für ein Vorsprechen die Rolle des Bösen einübt, welcher seine Feinde den Alligatoren zum Fraß vorwirft. Als Parlamentsvertreter der in Litauen stationierten sowjetischen Militärs verurteilte er die baltischen Separatisten, plädierte für das Standgericht und rief zur heiligen Union der »Marxisten-Leninisten, Stalinisten, Neofaschisten, Orthodoxen, Monarchisten und Heiden« auf, um das Land vor dem Zerfall zu retten, in den die Leute es führten, die es nicht liebten und dem Ausland unterwerfen wollten. Und so weit wir das politische Urteil unseres Helden kennenlernen durften, wird man sich nicht wundern, dass Alksnis und er sich blendend verstanden. Nach der Sendung stellte »der schwarze Oberst«, wie man ihn auch nannte, Eduard seinen Waffenbrüdern vor – ich erspare dem Leser die Namen und begnüge mich damit, sie als eine reizende kleine Bande von Militärs und Tschekisten vorzustellen, Lesern von Mein Kampf und den Protokollen der Weisen von Zion so wie Verlegern von ultranationalistischen Blättern wie Den (»Der Tag«), das sich selbst die »Zeitung der spirituellen Opposi tion« nannte und von den Demokraten als »Nachtigall des Ge neralstabs« bezeichnet wurde und bei der Eduard sein Debüt als Journalist in Russland gab. Als er nach Paris zurückkehrte, blieben er und Alksnis in Kontakt, sie telefonierten miteinander, schickten sich gegenseitig Fax-Nachrichten und nährten gemeinsam ihre Illusionen auf einen offenbar bevorstehenden Staatsstreich.
    Je mehr Gorbatschow in die Ecke gedrängt wurde, desto blinder wurde er, das muss man zugeben. Im Januar 1991, als er davon profitierte, dass die ganze Welt an den Bildschirmen den ersten Golfkrieg verfolgte, drangen russische Panzer in Vilnius ein und zogen sich angesichts des Widerstands gleich wieder zurück, wobei sie etwa fünfzehn Tote auf dem Pflaster zurückließen. Dieser »schwarze Sonntag« brachte Gorbatschow bei den Demokraten endgültig in Misskredit: Wer wollte danach noch vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz reden hören? Um sich reinzuwaschen, gab Gorbatschow vor, weder von dem Versuch noch von seinem Scheitern gewusst zu haben, und man fragte sich, was eigentlich schlimmer war: dass er ein Lügner war oder vollkommen unbeteiligt? Ohne ihn zu informieren, vermehrte die Armee die Truppenbewegungen und Grenzzwischenfälle vorzugsweise während internationaler Gipfel, um Gorbatschow bei der von ihm so geschätzten öffentlichen Meinung des Westens so richtig in Verlegenheit zu bringen, aber seltsamerweise schien ihn das gar nicht zu verunsichern. Ganz im Gegenteil, auf den Fotos lächelte er umso mehr. Obwohl er als Generalsekretär der Partei sein Mandat ausschließlich von der Partei erhalten hatte, schaute er abfällig auf den »sogenannten Demokraten« Boris Jelzin herab, der gerade in allgemeiner Wahl zum Präsidenten Russlands gekürt worden war: Das machte Jelzin nur noch größer, aber Gorbatschow schien sich dessen nicht bewusst zu sein. Der treue Schewardnadse trat von seinem Amt als Außenminister zurück und erklärte öffentlich, man steuere auf eine Diktatur zu, doch Gorbatschow ignorierte die Mahnung. Der noch treuere Jakowlew dankte nicht ab, doch jedes Mal, wenn er sich von einem Journalisten verabschiedete, sagte er: »Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal – sofern ich dann nicht in Sibirien bin.« Mit der Kraft der Verzweiflung versuchte er, seinen Chef vor den immer offener agierenden Aufrührern im Politbüro zu warnen, aber Gorbatschow zuckte nur mit den Schultern und antwortete: »Jaja, Sie übertreiben immer, ich kenne die Herrschaften, das sind gute, ein bisschen sture Kerle. Alles ist unter Kontrolle.«
    In dieser Gutgläubigkeit fährt er los, um in seiner prunkvollen Villa, die er sich auf der Krim hat bauen lassen, seine wohlverdienten Ferien zu verbringen. Und dort kappt man ihm plötzlich das Telefon, isoliert ihn und riegelt das Anwesen ab. Inzwischen ruft eine Handvoll von Generälen den Ausnahmezustand aus – diesmal nenne ich ihre Namen, denn

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