Limonow (German Edition)
Geschichte geht so weiter: Gorbatschow kommt absurd braungebrannt von der Krim zurück, hat nichts von dem verstanden, was geschehen ist und behält von der ganzen Sache einzig die Unannehmlichkeiten zurück, die er und seine Familie hinnehmen mussten, als man sie in ihrer Ölscheich-Villa von der Welt abschnitt. Drei der Putschisten begehen Selbstmord, und glücklicherweise gibt es wenigstens Eduard, um sie zu beweinen – denn, was auch immer man von seinen Ansichten halten mag, wenigstens ist er treu und hält auch die Besiegten in Ehren. Am 23. August findet der sensationelle Theatermoment statt, der von allen Fernsehsendern der Welt übertragen wird: die Parlamentssitzung, in der sich Jelzin genussvoll zu Gorbatschow hinüberbeugt, nachdem er ihn gezwungen hat, mit unsicherer Stimme die Protokolle des Ministerrats vorzulesen, in denen die von Gorbatschow selbst ernannten Minister beschließen, ihn zu verraten:
»Ah, und dann habe ich noch vergessen – da wäre noch dieser kleine Erlass zu unterschreiben …«
»Dieser kleine Erlass?«, fragt Gorbatschow verstört.
»Ja, der die Aktivitäten der Kommunistischen Partei Russlands suspendiert.«
»Was? Was?«, stammelt Gorbatschow, »aber den habe ich doch noch gar nicht gelesen … Darüber haben wir doch gar nicht gesprochen …«
»Das ist jetzt nicht so wichtig«, sagt Jelzin. »Kommen Sie, Michail Sergejewitsch, unterschreiben Sie.«
Und Gorbatschow unterschreibt.
Kurz darauf wird die Statue von Dserschinski auf dem Platz vor der Lubjanka, dem Sitz des KGB , heruntergenommen. Die rote Fahne wird durch die dreifarbige Fahne der provisorischen Regierung von 1917 ersetzt. Und vor allem folgt einige Monate später ein historisches Besäufnis, das unter großer Geheimhaltung in einem Jagdschloss im Wald von Belowesch abgehalten wird und den russischen Präsidenten Jelzin, den ukrainischen Präsidenten Krawtschuk und den weißrussischen Präsidenten Schuschkewitsch zusammenführt. Jelzin verlässt Moskau, ohne Gorbatschow mitzuteilen, was er im Begriff ist zu tun; nichts ist vorbereitet worden und keiner der drei Verschwörer hat die geringste Idee davon, was eine Föderation oder eine Konföderation ist. Alles, was sie sich immer wieder in der Sauna sagen, während sie eine Menge Wodka hinunterkippen, ist: Ihre drei Republiken haben 1922 die Union ins Leben gerufen, und dies gibt ihnen auch das Recht, sie wieder aufzulösen. Jelzin ist dermaßen besoffen, dass die beiden anderen ihn ins Bett tragen müssen, und kurz bevor er ganz wegsinkt, ruft er George Bush (Senior) an, um ihn als ersten in den Genuss der Neuigkeit kommen zu lassen: »George, die Kumpels und wir haben uns geeinigt. Die Sowjetunion existiert nicht mehr.« Um die Demütigung vollkommen zu machen, überlässt man dem Unbedeutendsten dieser Troika, Schuschkewitsch, die Aufgabe, Gorbatschow darüber in Kenntnis zu setzen, und Schuschkewitsch versichert, Gorbatschow habe ihm fassungslos geantwortet: »Und ich? Was wird dabei aus mir?«
Was aus ihm wird? Ein wohlhabender Rentner, dem man eine Datscha überlässt, eine Stiftung und das Recht, bis zum Ende seiner Tage gut bezahlte Vorträge zu halten. Für einen entthronten Zar und in Anbetracht der russischen Usancen seit dem Mittelalter ist das ein außergewöhnlich mildes Los.
2
In diesem römischen Zweikampf zwischen Gorbatschow und Jelzin schlugen sich die Franzosen von Anfang an auf die Seite des ersteren, und ich finde es recht überraschend, dass sie ihm gefühlsmäßig so treu blieben. Jelzin – das änderte sich auch während seiner Regierungszeit nicht – galt als grobschlächtiger, brutaler Haudegen, der seit dem Putsch vom August 1991 eine wenig durchsichtige Rolle einnahm. Gorbatschow war unser Held, und Scheusale hatten ihn stürzen wollen. Jelzin hatte Gorbatschow zwar aus dem Schlamassel gezogen, aber danach perma nent auszustechen versucht, und so wusste man nicht so genau, ob man ihn für gut oder böse halten sollte. Was er sagte, roch nach Populismus, manche meinten sogar, er sehe aus wie ein Diktator.
Als einzige in Frankreich, aber in Übereinstimmung mit der überwältigenden Mehrheit der Russen, sprach meine Mutter über Gorbatschow als von einem Apparatschik, der von den Kräften überrollt worden war, die er selbst ohne es zu wollen in Bewegung gesetzt hatte, und über Jelzin als von dem Mann, der das Streben seines Volks nach Freiheit verkörperte. Obgleich er vom Kommunismus geprägt war, hatte er den Mut
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