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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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nicht unterbrochen zu werden, und mit einer Vorliebe für die Wörter »großartig« und »ungeheuerlich«. Alles war entweder großartig oder ungeheuerlich, für Limonow gab es nichts dazwischen, und als Sachar ihn zum ersten Mal sah, dachte er: »Ein großartiges Wesen, das zu ungeheuerlichen Handlungen fähig ist.«
    Sachar hatte alles von ihm gelesen, selbst seine Jugendgedichte, in denen sich, wie er sagt, die unverbrauchte und ursprüngliche Sicht eines kleinen Kindes ausdrückt. Doch Limonow hatte nichts mehr von einem Kind, seine Odyssee durch die Welt hatte ihm jede Illusion genommen. »Du musst deine Lebensstrategie auf die Annahme gründen, dass der Andere dein Feind ist«, sagte er. »Das ist die einzige realistische Sicht auf die Dinge; der beste Schutz gegen die Feindseligkeit des Anderen ist, mutig und wachsam zu sein und bereit zum Töten.« Es genügte, ein paar Minuten in seiner Nähe zu verbringen und die Energie zu spüren, die sein zäher, muskulöser, zum Sprung bereiter Körper im Raum verbreitete, um sicherzugehen, dass er selbst all diese Tugenden besaß. Hingegen gab es keine Spur von Güte an ihm. Interesse für den anderen, ja, eine immerzu hellwache Neugier, ja, aber keine Gutmütigkeit, keine Offenherzigkeit, keine Milde. Deshalb fühlte sich Sachar, obwohl er Limonow bewunderte und für nichts auf der Welt seinen Platz in dessen Kreis hergegeben hätte, in seiner Gegenwart nicht wirklich wohl, was auf die anderen Nazboly ganz und gar nicht zutraf. Zu ihnen hatte er vollkommenes Vertrauen. Diese Jungs, die Namen trugen wie Negativ, Schamane, Lötkolben oder Kosmonaut, waren in seinen Augen die besten Wesen der Welt: so ehrlich und treu wie draufgängerisch und gewaltbereit. Sie waren fähig, ihr Leben für das eines Kameraden zu geben und für ihre Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen. Ihre Moral entsprach dem exakten Gegenteil dessen, was um sie herum in dieser korrupten, beziehungslosen Welt vorherrschte, die auf die Sowjetunion ihrer Kindheit gefolgt war. Nachdem Sachar diese Jungs kennengelernt hatte, suchte er mehrere Jahre lang zu niemand anderem mehr Kontakt. Alle anderen erschienen ihm seicht und langweilig.
    »Ich habe Glück gehabt«, dachte er. »Ich habe Leute getroffen, mit denen es eine Ehre wäre zu sterben. Ich hätte mein ganzes Leben verbringen können, ohne ihnen zu begegnen, aber es ist passiert. Das ist gut.«
    Er begann nach Moskau zu fahren, das eigentlich nur 400 Kilometer von Nischni Nowgorod entfernt ist. Die ersten Male traf er keine besonderen Vorkehrungen, doch im Laufe der Jahre verschärften sich die Repressionen, und die Nazboly aus der Provinz bekamen den Rat, den Schnellzug zu meiden, denn für diesen musste man am Schalter einen Ausweis vorlegen und riskierte, sich in den Datenbänken des FSB wiederzufinden – wie der KGB jetzt hieß. Die Lösung bestand darin, Regionalbahnen zu nehmen, kleine Bummelzüge, mit denen man die Fahrt in kurze Strecken von einer Stadt zur anderen aufteilte und so den Kontrollen entkam. Das dauerte zwei Tage, und man verbrachte sie damit, sich zu besaufen und zu schlafen. Sie machten diese Reisen zu dritt oder zu viert: pickelige Jungs mit blasser Haut, roten Händen, schwarzen Jeans, schwarzen Jacken und schwarzen Mützen, die schiefe Blicke ernteten. Moskau machte ihnen Angst. Sie fühlten sich arm dort und provinziell. Sie hatten Angst, von der Polizei in der Metro angehalten zu werden, Angst vor den hübschen, gutgekleideten Mädchen, an die sie sich nicht herantrauten, und sie beeilten sich, den Weg vom Bahnhof zur Station Frunsenskaja , in deren Nähe der Bunker lag, möglichst schnell hinter sich zu bringen. Sie klingelten an der gepanzerten Tür, die schon mehrere Male ausgewechselt worden war, weil mehrere Male Männer von Spezialeinheiten gekommen waren und sie mit Schneidbrennern aufgebrochen, die Örtlichkeit ausgeplündert und schonungslos alle gerade Anwesenden mitgenommen hatten.
    Man öffnete ihnen, und sie stiegen die Treppen hinunter zum Keller. Dort endlich atmeten sie auf. Sie waren zuhaus.
    Sachar beschreibt den Bunker als eine Mischung aus Atelier eines Künstlerkollektivs in einem besetzten Haus und Internat für jugendliche Straftäter, aus Dojo für Kampfkunst und impro visiertem Schlafsaal für das Publikum eines Rockfestivals. Die Plakate und Malereien, die die feuchten Mauern bedeckten, zeigten Stalin, Fantômas, Bruce Lee, Nico und Velvet Underground sowie Limonow in der Uniform eines

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