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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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Plädoyer: Er ein Extremist? Ein Faschist? Nie im Leben! Der Minister hört zu, versichert ihm seine Wertschätzung für sein Talent, scheint sehr offen. Doch drei Monate später, als der Zeitpunkt bereits verstrichen ist, von dem an keine einzige Autorisierung mehr erteilt wird, ist das Ende besiegelt: Die Antwort ist nein. Nein, die Nationalbolschewistische Partei darf nicht mehr existieren. Eduard ersucht niedergeschmettert noch einmal um Anhörung, und zu seiner großen Überraschung wird sie ihm noch einmal bewilligt, er zieht noch einmal Anzug und Krawatte an, und diesmal fackelt er nicht lang: Es gebe einhundertdreißig anerkannte und registrierte Parteien in Russland, erklärt er dem Minister, und darunter viele Scheinparteien ohne Anhänger. Das sei bei der seinen nicht der Fall, sie zähle 7000 Mitglieder. Die Situation sei einfach: Wenn die Nationalbolschewistische Partei verboten würde, zwinge man sie, sich heimlich zu organisieren, und er, Limonow, sei nicht dafür verantwortlich, wenn man junge Leute, die sich um die Zukunft ihres Landes sorgen, in den Extremismus oder Terrorismus treibe.
    Der Minister hebt die Augenbrauen: »Wollen Sie mir damit sagen, wenn Ihre Partei nicht autorisiert wird, werden Sie sich daran machen, Bomben zu legen?«
    »Was ich Ihnen damit sagen will«, antwortet Eduard, »wenn Sie uns den legalen Weg versperren, werden wir einen anderen einschlagen.«
    Kurze Zeit später wird er von einem Offizier in die Lubjanka einbestellt, und dieser erklärt ihm ohne Umschweife, er sei damit beauftragt, sich um ihn und seine Partei zu kümmern. Dieser Offizier spielt nicht den Literaturfreund, aber er ist auch nicht unsympathisch, was Eduard in seiner Meinung bestätigt, dass Tschekisten mehr wert seien als zivile Beamte. »Was ist das für eine Granate?«, fragt er und zeigt auf das Logo der Limonka . »Ein Aufruf zum Mord?« Eduard antwortet, dieses Modell werde von russischen Waffenfabriken hergestellt und es sei seines Wissens nicht gesetzlich verboten, dessen Abbildung zu reproduzieren. Der Offizier lacht gutmütig und gibt ihm seine Handynummer mit der Aufforderung, ihn anzurufen, falls er unter den jungen Leuten in seinem Umfeld Elemente bemerken sollte, die einen Hang zum Terrorismus verspürten.
    »Sie können sich auf mich verlassen«, sagt Eduard höflich.
    Was den Terrorismus betrifft: In der Tat scheint es, als habe sich die Nationalbolschewistische Partei in ihrer gesamten legalen oder illegalen Geschichte ausschließlich durch friedliche Aktionen hervorgetan. Das sagen nicht nur die Nazboly und Eduard, sondern auch die Macht selbst, die deren Anhänger wegen recht verzeihlichen Delikten verfolgt und einsperrt, zum Beispiel, weil sie bei einer Veranstaltung des Ex-Premierministers Gajdar »Stalin! Beria! Gulag!« brüllten, Gorbatschow mit einem Blumenstrauß ohrfeigten – ohne Dornen, präzisiert Limonow – oder am Ausgang der offiziellen Vorführung von Nikita Michalkows Film Der Barbier von Sibirien ein Flugblatt mit dem Titel »Unser Freund der Henker« verteilten. Der darauf angeschuldigte Henker war der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew, der Mäzen des Films, und das Flugblatt, welches das wenig beneidenswerte Schicksal von Oppositionellen in seinem Land beklagte, verfolgte ein eher humanitäres als faschistisches Anliegen – nur dass humanitäre Organisationen sich klugerweise davor gehütet hätten, eine so mächtige und unumstrittene Persönlichkeit wie Michalkow zu brüskieren, der im russischen Kino das geworden ist, was Putin im Machtapparat ist: der chosjain oder, anders gesagt, der Boss . Die Antwort auf diese Aktion ließ nicht lange auf sich warten: Im Bunker landete ein Molotowcocktail, und OMON -Angehörige kreuzten auf und ergriffen, verprügelten und verhafteten die anwesenden Nazboly  – all das, dessen ist Limonow sich sicher, auf Verlangen von Michalkow. Bei einer anderen Filmvorführung werfen zwei Nazboly , die Repressalien nicht fürchten, dem Filmemacher faule Eier ins Gesicht; sie werden sofort ins Gefängnis gesteckt und bekommen jeder sechs Monate aufgebrummt.
    Sechs Monate, das scheint viel für faule Eier. Doch es ist wenig im Vergleich zu den Strafen in den baltischen Staaten – die Eduard, man möge sich erinnern, zu einem vordringlichen Aktionsterrain bestimmt hatte. Die Operation in Lettland ist ein solch wirrer Knoten an postkommunistischen Paradoxien, dass ich denke, sie ist es wert, erzählt zu werden. Sie beginnt,

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