Limonow (German Edition)
als die Justiz von Lettland, ein zu einem unabhängigen demokratischen Staat gewordener ehemaliger Satellit der Ud SSR , einen alten sowjetischen Partisanen verurteilt und einsperrt, der ein Held im Großen Patriotischen Krieg gewesen war und dann bis zum Fall der Mauer ein für seine Brutalität bekannter Tschekist. Aus unserer Perspektive und, sagen wir, jener von Le Monde oder Libération ist das eine gesunde geschichtliche Heilmaßnahme: Die Gesellschaft übt ihre Pflicht zur Reue aus und zieht die Henker zur Rechenschaft. Aus der Perspektive der Nazboly aber ist es eine Schandtat, eine Beleidigung der zwanzig Millionen Kriegstoten und der mehreren hundert Millionen, die an den Kommunismus geglaubt haben. Für diese romantischen jungen Leute wird das alte Krokodil des KGB zum Helden und Märtyrer. Und um ihm ihre Unterstützung zu bekunden, nehmen drei von ihnen die Petrikirche von Riga in Beschlag, werfen eine Handgranatenattrappe ab, um die Touristen zu verscheuchen, und verbarrikadieren sich im Glockenturm, von wo aus sie Flugblätter abwerfen. Währenddessen wissen sie recht gut, was sie zu erwarten haben: Bataillone von Bullen mit Megafonen, die sie auffordern, sich zu ergeben, Verhandlungen, sowie Forderungen, von denen die einen nicht die geringste Chance auf Erfolg haben (man solle den alten Tschekisten freilassen, Lettland solle auf seinen NATO -Beitritt verzichten) und andere realistischer sind (der russische Botschafter möge bei ihrer Kapitulation anwesend sein). Schließlich ergeben sie sich, der Botschafter ist da, unternimmt aber nichts zu ihrem Schutz, man setzt ihnen so hart zu, als hätten sie auf die Menge geschossen, klagt sie nicht des Rowdytums, sondern gleich des Terrorismus an, und mit dem Segen der russischen Behörden werden sie zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Sie haben richtig gelesen: fünfzehn Jahre. Was die Sache noch verwickelter macht: Der russische Machtapparat, gegen den die Nazboly sich eigentlich richten, nimmt von da an vermeintliche Angriffe auf seine glorreiche Vergangenheit genauso wenig hin wie sie und Putin erklärt den Esten, als diese sich eines Denkmals zum Ruhm der Roten Armee entledigen wollen, fast den Krieg. In der Sache stimmen die Nazboly und er überein – was die Nazboly nie zugeben würden, lieber würden sie sich umbringen, das ist klar –, aber wenn es um den »Kampf gegen den Terrorismus« geht, so harmlos dieser auch sein mag, dann arbeiten die russischen Tschekisten Hand in Hand mit den lettischen Behörden und machen bedenkenlos Jagd auf die romantischen Streiter für ihre alten, verfolgten Kollegen.
All das ist kompliziert, dessen bin ich mir bewusst: Um diese Art von Komplikationen zu entwirren, schreibe ich dieses Buch. Eduard, den es weiß Gott nicht stört, in trüben Gewässern zu schwimmen, beginnt selbst, die Nase voll zu haben und von frischer Luft und grünen Weiten zu träumen. Moskau ist trostlos, und er sagt sich, er wäre besser in Zentralasien aufgehoben. Es überkommt ihn die Lust, eine neuerliche Studienreise zu den Möglichkeiten einer Destabilisierung in Kasachstan mit einem Überlebensworkshop à la Rambo im Altai-Gebirge zu verbinden. Das ist die Vorstellung, die dieser Mann von Ferien hat – er, der nie welche macht –, und es erinnert mich an die Fotos, die ich von Stalin in Abchasien kenne: Auf diesen sieht man Stalin nur in Stiefeln und Militärhemd, umgeben von Schnauzbärtigen, die genauso gekleidet sind wie er und die, falls sie etwas für Liege stühle und Badengehen übrig gehabt haben sollten, diese Nei gung gut kaschierten.
Werfen Sie einen Blick auf die Landkarte: Sie werden sehen, dass die Republik Altai, die an Kasachstan grenzt (doch es handelt sich um Territorien, die fünfmal so groß sind wie Frankreich), der kontinentalste Ort der Welt und vom Atlantischen, Pazifischen, Indischen und Arktischen Ozean gleichermaßen und beachtlich weit entfernt ist. Das Altaigebirge ist wie die Mongolei, wo der besagte Baron Ungern von Sternberg seinen Orden von buddhistischen Legionären gründete, eine Gegend, die für ihre atemberaubenden Landschaften berühmt ist – Hochplateaus und langes, vom Wind gebeugtes Gras – und für seine spärliche Besiedelung. Die Weite, der Himmel und niemand darunter: In dieses elementare, fast abstrakte Universum wagt Eduard sich im Spätsommer des Jahres 2000 vor, mit vier seiner Jungs in einem Jeep zusammengepfercht, der über aufgerissene Straßen rumpelt. Ihr
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