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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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umgänglichen Nachfolger für ihn, und der Gerissenste von ihnen, Beresowski, hat einen Vorschlag: einen der Öffentlichkeit völlig unbekannten Tschekisten namens Wladimir Putin. Als ehemaliger Geheim dienst-Offizier in Ostdeutschland erlebte er nach dem Fall der Mauer ein schweres Tief, bevor er sich wieder ein Plätzchen im FSB verschaffte, den er inzwischen seit einem Jahr recht glanzlos leitet. An seinen unterschiedlichen Posten bewies er eine unerschütterliche Loyalität zu seinen Vorgesetzten, und es ist diese wertvolle Qualität, die Beresowski nun seinen Kameraden anpreist: »Keine große Leuchte«, sagt er, »aber er wird uns aus der Hand fressen.« Im Auftrag der gesamten Gang nimmt Beresowski seinen Privatjet und landet auf dem Flugplatz von Biarritz, wo Putin gerade mit Frau und Kindern seine Ferien in einem Mittelklasse-Hotel verbringt. Als der Oligarch ihm den Job vorschlägt, antwortet Putin bescheiden, er sei sich nicht sicher, ob er das Format dazu besitze.
    »Nun, nun, Wladimir Wladimirowitsch, wer will, der kann auch. Aber machen Sie sich keine Sorgen: Wir sind ja da, um Ihnen zu helfen.«
    Greifen wir etwas vor: Der auf seinen Machiavellismus so stolze Beresowski hat gerade den schlechtesten Coup seiner Karriere gelandet. Wie in einem Film von Mankiewicz wird sich der unscheinbare, unterwürfige Offizier als unerbittliche Kriegsmaschine entpuppen und diejenigen, die ihn zum König machten, einen nach dem anderen feuern. Drei Jahre nach der Unterredung in Biarritz werden Beresowski und Gussinksi gezwungen sein, ins Exil zu gehen. Chodorkowski, der einzige, der sich mit dem Versuch, sein Ölimperium mit mehr Moral zu leiten, eine saubere Weste verschafft, wird verhaftet und nach einem skandalösen Prozesss wie in guten alten Zeiten nach Sibirien verschickt, wo er zur Stunde, da ich dies schreibe, immer noch versauert. Die anderen sind vorsichtig geworden: Sie haben verstanden, wer jetzt der Chef ist.
    Inzwischen stellt Jelzin den jungfräulichen, bescheidenen Wladimir Putin dem braven Volk vor und bestimmt ihn sechs Monate vor den Präsidentschaftswahlen zu seinem Nachfolger. Die Wahl scheint nur noch eine Formsache zu sein, aber um sicherzustellen, dass der Newcomer diese in der Rolle eines Retters antreten wird, eignet sich nichts besser als ein echter kleiner Krieg, und den Vorwand für diesen kleinen Krieg, der sich auch dieses Mal in Tschetschenien abspielen wird, bietet eine Serie von Bombenattentaten, die im Herbst 1999 in Wohnblocks der Moskauer Vorstadt mehr als dreihundert zivile Opfer fordert. Eine These macht die Runde, derzufolge diese Attentate, für die ohne jeden Beweis tschetschenische Terroristen verantwortlich gemacht werden, in Wirklichkeit vom FSB begangen wurden. Diese These vertraten öffentlich der General Lebed, der Journalist Artjom Borowik, der Ex-Geheimdienstoffizier Alexander Litwinenko und mein Cousin Paul Klebnikov. Alle vier starben eines gewaltsamen Todes: Lebed und Borowik bei dubiosen Unfällen, Litwinenko infolge einer Vergiftung mit Polonium und Paul durch eine Salve aus einer Kalaschnikow. Diese ebenso paranoische wie nicht unwahrscheinliche These zu den Attentaten von 1999 bleibt in der russischen Bevölkerung recht verbreitet, und das Seltsame ist, dass sie die Russen nicht sonderlich verdrießt und diese Putin, obwohl sie ihn eines solchen Verbrechens für schuldig oder zumindest für fähig halten, mit großer Mehrheit wählen und wieder wählen.
    Einige Monate nachdem man Putin in Umlauf gebracht hat, ist dieser jedenfalls ganz und gar nicht mehr jungfräulich und bescheiden. Als er seine Absicht verkündet, »die Terroristen im Klo runterzuspülen«, gibt er den Ton für seine Präsidentschaft mit demselben Eklat vor wie Nicolas Sarkozy den für seine eigene mit dem berühmten »Verpiss dich, arme Sau«. Putins Ausspruch wird unter den Nazboly sofort zu einem running gag : »Los, gib den Wodka rüber, sonst spül ich dich im Klo runter.« Ähnlich wie Beresowski ahnen Limonow und die Seinen, was sie er wartet.
    Alles geht schnell, sehr schnell. Noch vor der Präsidentschaftswahl verabschiedet der Justizminister ein Gesetz, das Extre mismus und Faschismus verbietet – was zu definieren er sich vorbehält –, und er lässt die Nationalbolschewistische Partei wissen, dass dieses Gesetz sie direkt betreffe. Eduard bittet um Anhörung beim Minister persönlich, und sie wird ihm gewährt, er zieht sich seinen Anzug an, bindet eine Krawatte um und hält ein

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