Limonow (German Edition)
Château de la Vaubyessard in Madame Bovary beschreiben, ohne auch nur einen Teelöffel oder eine Lichtquelle auszusparen. Ich wäre gern dazu in der Lage, aber ich bin es nicht. Darum sei nur erwähnt, dass sich die Szene in einem riesigen Penthouse an der Upper East Side abspielt, dass die Gästeliste eine wohldosierte Mischung aus Vermögen, Macht, Schönheit, Ruhm und Talent ist, kurzum, dass man sich in den mondänen Seiten der Vogue befindet; und von dem Moment an, da Elena und Eduard den Gästen vom Hausherrn vorgestellt werden, denkt erstere, ihr Lebensziel werde von nun an sein, sich in dieser Welt einen Platz zu verschaffen, und der zweite, das seine bestünde darin, diese Welt in Schutt und Asche zu legen. Dennoch ist es interessant, sich das alles vorher aus der Nähe anzusehen, und es ist eine Genugtuung, sich zu sagen, ich stamme aus Saltow und habe es bis hierher gebracht. Niemand in Saltow hat je ein solches Interieur gesehen und wird es jemals sehen. Niemand unter den Gästen der Libermans hat auch nur die geringste Vorstellung davon, was Saltow ist. Er allein kennt beides, und das ist seine Stärke.
Kaum dass er sich an diesem eitlen Gedanken berauscht hat, muss er schon klein beigeben, denn in der Mitte eines der Salons, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, im Mittelpunkt von allem – wo auch immer er ist, steht dieser Mann im Mittelpunkt – entdeckt Eduard niemanden Geringeren als Rudolf Nurejew. Pech gehabt: Da hält man sich für einen mongolischen Eroberer, dessen gelassene, dunkle, grausame Präsenz allein bald schon die Fadheit all dieser höchst zivilisierten Leute ans Licht bringen wird, und man trifft auf Nurejew, der aus einem Kaff kommt, das noch weiter entfernt in den schlammigen Tiefen Baschkiriens liegt, und der sich so hoch katapultieren konnte und mit seinem dämonischen Strahlen die ungezügelte Verführung in Person ist. Andere würden sich bemühen, ihn anzusprechen und seinen Blick auf sich zu lenken, Elena ist sichtlich versucht, es zu probieren. Eduard dagegen entfernt sich übelgelaunt, wechselt in einen anderen Salon hinüber oder flüchtet sich aufs Klo, wo eingerahmte Zeichnungen von Dalí hängen, die Tatjana Liberman gewidmet sind.
Und da ist sie auch schon: Tatjana, die jetzt mit einer nicht einmal übertrieben gespielten slawischen Überschwänglichkeit stürmisch die beiden wunderbaren Kinder begrüßt. Sie ist nicht jung, aber jünger als Lili Brik und unendlich besser in Schuss. Gerade rechtzeitig emigriert, war sie in den zwanziger Jahren eine der berühmtesten Schönheiten Frankreichs gewesen. Eine Exzentrikerin mit Zigarettenspitze und Frisur à la Louise Brooks in der Ära des Jazz und von Scott Fitzgerald. Als Frau eines französischen Aristokraten war sie Kriegswitwe geworden und hatte dann erneut geheiratet: Alex Liberman, einen ukrainischen Geschäftsmann, dem sie nach New York gefolgt war, wo er künstlerischer Leiter der Condé Nast-Publikationen wurde, das heißt von Vogue und Vanity Fair , um nur die Flagschiffe zu nennen. Von dieser Kommandobrücke aus befördern und demontieren Alex und seine Frau seit dreißig Jahren die Karrieren von Fotografen, Models und selbst von Künstlern, die eigentlich nicht der Modewelt zugehören. Sie seien es, die Brodsky zu dem gemacht hätten, der er ist, vertraut Tatjana den jungen Limonows an. Der Arme habe bei seiner Ausreise aus der Ud SSR genug Verstand besessen, nicht nach Israel zu gehen, sei aber auf irgendeinen dummen Ratschlag hin einem Ruf an die Universität von Ann Arbor gefolgt, wo er beinahe zwischen Pfeife rauchenden und Strickjacken tragenden Professoren für russische Literatur lebendig begraben worden wäre: Ein schreckliches Schicksal, vor dem die Libermans ihn bewahrt hätten, indem sie ihn nach New York brachten und bei ihren Freunden einführten. »Und jetzt, ihr seht ja selbst …«, sagt sie und deutet zu Brodsky hin: Er ist wie immer als Letzter gekommen und wie immer in eine alte, ausgebeulte Jacke und eine zerknitterte Hose gekleidet, ungekämmt, betont verträumt, aber dennoch sehr aufmerksam für das, was ihm eine majestätisch große, strenge, elegante junge Frau zu sagen hat – und Elena flüstert ihrem Mann ekstatisch zu, das sei das Fotomodell Veruschka. Als der Blick des Poeten auf den der Hausherrin trifft, widmet er ihr – wie man jemandem eine Elegie widmen würde – ein gerührtes, dankbares Lächeln, ein leicht unterwürfiges Lächeln, denkt der grausame Eduard. Dann,
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