Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
Vom Netzwerk:
Welt des Underground jedem Emigranten mit dem Bestimmungsziel New York als Marschgepäck mitgibt – so wie man einem armen Bauern aus der Bretagne oder der Auvergne, der sein Glück in Paris versuchen will, die Adresse eines Cousins mitgibt, der als dort erfolgreich gilt. Denn der drei Jahre zuvor ausgebürgerte Brodsky ist inzwischen der Liebling der gesamten intellektuellen Nomenklatura des Westens von Octavio Paz bis Susan Sontag. Er hat viel dafür getan, um seinen neuen Freunden – von denen die meisten immer noch Weggefährten der kommunistischen Parteien ihrer Länder waren – die Augen über die Realität des sowjetischen Regimes zu öffnen, und selbst die groß angekündigte Ankunft von Solschenizyn hatte seine Position nicht schwächen können, denn Solschenizyn ist unbequem im Umgang, während sich Brodsky hinter seiner Erscheinung eines zerstreuten Professors als König der poetischen Plauderei erweist und als Freund der Großen dieser Welt. Die Gespräche mit ihm wurden wie die mit Jorge Luis Borges eine eigene literarische Gattung. Das legendäre Restaurant Russian Samovar in der 52sten Straße von Manhattan rühmt sich noch heute, Brodsky von Beginn an zu seinen Stammgästen gezählt zu haben. Und die russischen Emigranten in New York nennen ihn respektvoll natschalnik , den Chef – so wie die Tschekisten, nebenbei gesagt, Stalin nannten.
    Am Telefon erinnert sich Brodsky nicht genau, wer Eduard ist – man schickt so viele von diesen Russen zu ihm, die nicht einmal Englisch sprechen … –, aber er verabredet sich mit ihm in einem Teesalon im East Village, einem anheimelnden Ort mit gedämpften Lichtern, der einen mitteleuropäischen Charme auszustrahlen versucht und bestens geeignet ist für lange Diskussionen über Literatur im Stil »Magst du lieber Dostojewski oder Tolstoi, Achmatowa oder Zwetajewa« – sein Lieblingssport. Genau wie die Wohnungen der alten Moskauer Intellektuellen gehört es zu der Art von Etablissements, die unser Limonow von Herzen hasst, und die Sache renkt sich auch nicht ein, als er erfährt, dass man dort keinen Alkohol serviert. Zum Glück ist Elena dabei. Brodsky liebt schöne Frauen, sie kokettiert mit ihm – ohne sich dazu zwingen zu müssen, gibt sie später zu –, und Brodsky und Elena beginnen zusehends entspannt ein Zweiergespräch. Eduard, der dadurch ins Abseits geraten ist, beobachtet den Poeten. Seine zerzausten roten Haare gehen schon ins Grau über, er raucht und hustet viel. Man erzählt sich, er sei von schwacher Gesundheit und leide an einer Herzkrankheit. Kaum zu glauben, dass er noch nicht einmal vierzig ist, man würde ihn für fünfzehn Jahre älter halten; und obwohl Eduard nur wenig jünger ist, fühlt er sich ihm gegenüber auf die Rolle eines wilden Kindes neben einem alten Weisen verwiesen. Einem verschmitzten und freundschaftlichen alten Weisen im Übrigen, der sehr viel nahbarer ist als in Moskau, und doch erahnt man hinter dieser Herzlichkeit die Herablassung des Arrivierten, der weiß, dass zwar eine Welle die andere verdrängt, aber die Neuankömmlinge lange in ihrem Rettungsboot werden rudern müssen, ehe sie ihm die Luxuskabine streitig machen können.
    »Amerika ist ein Dschungel, weißt du«, sagt dieser ausgemachte Feind des Klischees, als er sich endlich Eduard zuwendet. »Um hier zu überleben, brauchst du ein dickes Fell. Ich habe ein dickes Fell, aber bei dir bin ich mir nicht so sicher.« Altes Arschloch, denkt Eduard und lächelt freundlich weiter. Er harrt der Dinge, die noch kommen werden: Tipps und Kontakte; und sie kommen, ohne dass er darum bitten muss. Eduard braucht einen Broterwerb; da er schreiben kann, soll er zu Moise Borodatich gehen, dem Chefredakteur der Russkoje Delo , einer russischen Tageszeitung für Emigranten. »Es ist dort zwar nicht üblich, die neusten scoops über Watergate herauszubringen«, scherzt Brodsky, »aber für die Zeit, die du brauchst, um Englisch zu lernen, könntest du dich damit über Wasser halten.« Und bei Gelegenheit nähme er Eduard und Elena mit zu seinen Freunden, den Libermans, dort würden sie Leute kennenlernen …
    Eine ziemlich vage Einladung. Eduard kann dem Vergnügen nicht widerstehen, ihm mitzuteilen, sie stünden ihrerseits bereits in Kontakt zu den Libermans und gingen nächste Woche zu einer party bei ihnen. Pause. »Na, dann sehen wir uns dort ja wieder«, folgert Brodsky fröhlich.
    Idealerweise müsste man die party bei den Libermans wie den Ball im

Weitere Kostenlose Bücher