Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
Vom Netzwerk:
als er die beiden jungen Russen neben ihr wiedererkennt, hebt er sein Glas in ihre Richtung, als wolle er sagen: »Viel Glück, meine Kleinen, ihr seid am richtigen Fleck, jetzt ist es an euch.«
    Sie sehen sich beide schon von den Libermans bei der Hand genommen und wie Brodsky im Jetset inthronisiert. Die Aussicht, in diesem hochherrschaftlichen Haus als Stammgast ein- und auszugehen, schwächt Eduards ersten Reflex etwas ab, dort alles zusammenschießen zu wollen. Einen Model-Vertrag für Elena, ein erfolgreiches Buch für ihn, und der paternalistische Hauptmann Lewitin würde schon sehen …
    In der Tat scheinen die Dinge anfangs darauf hinauszulaufen. Die Libermans lieben alles, was russisch, jung und unverfroren ist, und vernarren sich in sie beide. Im ersten Jahr laden sie Eduard und Elena zu anderen, nicht weniger glanzvollen parties ein, auf denen sich Andy Warhol, Susan Sontag und Truman Capote die Hand reichen, ganz zu schweigen von den congressmen verschiedenster Couleurs. Eines Tages stellt Tatjana Elena dem großen Fotografen Richard Avedon vor; Elena überreicht ihm ihre Visitenkarte und ermuntert ihn, sie anzurufen, eine weitere gibt sie Salvador Dalí, der in einem fast so primitiven Englisch wie dem ihren erklärt, er sei entzückt von ihrem »hinreißenden kleinen Skelett« (sie ist schlank, das ist wahr, fast schon mager), und er spricht davon, ein Portrait von ihr machen zu wollen, vielleicht zusammen mit Grace Jones. An einem Wochenende nehmen die Libermans sie auf dem Rücksitz ihres Autos, als seien sie ihre Kinder, mit zu ihrem Landsitz in Connecticut. Als sie das Atelier besuchen, in dem sich Tatjanas snobistische, depressive Tochter der Literatur hingibt, fragt sich Eduard, was für Bücher in einem so ruhigen, komfortablen und in seinen Augen toten Rahmen entstehen sollen. Um interessante Dinge zu schreiben, muss man zuerst einmal interessante Dinge erleben, man muss Unglück, Armut und Krieg kennen, meint er – aber er hütet sich wohl, ihr das zu sagen, und begeistert sich klugerweise an der Landschaft, der Dekoration und den Frühstückskonfitüren. Elena und er sind zwei reizende junge Russen, süße Schoßtierchen, und es ist zu früh, um diese Stellung aufzugeben, dessen wird er sich bewusst, als er es wagt, eine Bemerkung über Brodskys Vorliebe für Ehrenbezeugungen zu machen, die dieser hinter seinen Allüren des geistesabwesenden Gelehrten verberge. Mit hochgezogenen Augenbrauen unterbricht ihn Tatjana: Selbst das geht zu weit.
    Bei der Rückkehr vom Land bringen die Libermans sie mit dem Auto nach Hause. Alex amüsiert es, dass die Limonows ebenfalls in der Lexington Avenue wohnen – »Da sind wir ja Nachbarn!« –, doch die einen wohnen auf der Höhe der 5th Avenue und die anderen Nummer 233, am untersten Ende von Downtown Manhattan  – eine Entfernung, die in Paris etwa der zwischen der Avenue Foch und der Goutte-d’Or entspricht. Die beiden alten Reichen bestehen darauf, die Behausung der beiden jungen Armen zu besichtigen, und sie erklären das winzige, auf einen schwarzen Hof hinausgehende Zimmerchen und den von Kakerlaken wimmelnden Bad-Küchen-Verschlag für charmant. Dennoch empfindet selbst der reizbare Eduard ihre Kommentare nicht als deplatziert. Eher sogar ermutigend, denn auch sie, oder zumindest Alex, haben einen schwierigen Start gehabt, und Alex wirkt aufrichtig, wenn er – vielleicht in Gedanken an seine trübsinnige Stieftochter – immer wieder sagt: »Gut, sehr gut, so muss man anfangen. Man muss sich durchboxen und Hunger leiden, wenn man jung ist, sonst bringt man es zu nichts.«
    Ein paar Tage später lässt er ihnen einen Fernseher liefern, damit sie im Englischen schneller Fortschritte machen. Als sie ihn anschalten, erscheint Solschenizyn als einziger Gast in der Sondersendung einer Talkshow, und es gehört zu Eduards besten Erinnerungen seines Lebens, vor dem Bart des Propheten, der dem Westen eine feierliche Ansprache hielt und dessen Dekadenz anprangerte, Elena in den Arsch gefickt zu haben.
    2
    Die Russkoje Delo ist eine russische Tageszeitung, die 1912 gegründet wurde, kurz vor der Prawda , der sie in Format und Schrifttype zum Verwechseln ähnlich sieht. Ihre Büros sind auf einer Etage eines alten Gebäudes nicht weit vom Broadway untergebracht, und auch wenn dieser magische Name Eduard bis zu seinem ersten Besuch zum Träumen bringt, könnte man glauben, man befinde sich in einem ruhigen Viertel einer ukrainischen Kleinstadt. Auch

Weitere Kostenlose Bücher