Limonow (German Edition)
erklärt, er habe zwischen einem Haufen unbedeutender Sachen den neuen Henry Miller entdeckt. Aber genauso gut kann es sein, dass der Typ mit den Schultern zuckt und das Manuskript ohne lange nachzudenken auf den Stapel der offiziell abgelehnten legt. Wenn er ihn wenigstens sehen könnte oder wüsste, was für ein Typ der Kerl ist, dessen Geschmack, Stimmung und Laune darüber entscheiden, ob Eduard Limonow die unbestimmte Menge der Verlierer verlassen wird oder nicht … Und wenn es der junge Mann ist, der eben die Halle mit dem eiligen Schritt des Eingeweihten betritt, der sich auskennt im Haus? Mit Anzug, Krawatte und schmalen, randlosen Brillengläsern, dieses Arschloch … Es ist zum Verrücktwerden.
An der Zahl der Gläser, die Jenny morgens auf dem niedrigen Tisch vorm Kamin findet, kann sie ablesen, ob sie ein oder zwei Frühstücke zubereiten muss. Denn Steven kommt oft in Begleitung nach Hause und weckt damit in Eduard eine brennende und schmerzliche Neugier. Ich schäme mich etwas für ihn, davon zu berichten, aber Eduard hat die Gewohnheit, Frauen Noten zu geben: A, B, C, D, E, wie in der Schule, und diese Klassifizierung hat eine mindestens ebenso große soziale wie sexuelle Bedeutung. Mit der eklatanten Ausnahme von Elena, die er immer als Quintessenz der Note A betrachtete, obwohl er sich manchmal fragte, ob er sie nicht ein bisschen überbewerte, hat es in seinem Leben viele Ds und sogar Es gegeben: Mädchen, die man flachlegt, ohne stolz darauf zu sein. Jenny? Sagen wir C. Die Frauen, die aus Stevens Bett steigen, gehören wie jene, die man auf den Soireen bei den Libermans trifft, allesamt zur Kategorie A. Zum Beispiel diese englische Gräfin, die nicht unbedingt hübsch, aber wahnsinnig schick ist, und von der Jenny behauptet, sie besäße in England ein Schloss mit dreihundert Bediensteten.
»Dreihundert Bedienstete!«, wiederholt sie stolz, als sei sie es, die dreihundert Bedienstete habe; und was bei Eduard das Fass zum Überlaufen bringt: Jenny macht den Anschein, als sei sie ernstlich davon begeistert, sowohl für die Gräfin als auch für sich selbst, die sie das Glück hat, diese Gräfin zu bedienen. Als Steven Eduard als » boyfriend unserer lieben Jenny« vorstellt, möchte er am liebsten im Erdboden versinken. Auf einer einsamen Insel würde die Gräfin ihn zweifellos attraktiv finden. Aber das hier, der Freund der Haushälterin mit den dicken Waden, das löscht ihn aus sexueller Perspektive vollständig aus. Er ist furchtbar sauer auf Jenny, und man sieht es ihm an. Er erträgt ihre gute Laune nicht mehr, ihre Art, immer mit ihrem Schicksal zufrieden zu sein, sich hinzusetzen und dabei ihre stämmigen Schenkel auseinanderzuspreizen und sich nicht einmal abzusondern, wenn sie die Mitesser auf ihrer Nase ausdrückt. Er erträgt ihre zwei Busenfreundinnen nicht mehr, die aufkreuzen, sobald Steven ihnen den Rücken zugekehrt hat, um Joints zu rauchen und dabei von ihren Chakren und makrobiotischen Diäten zu erzählen. Sie sind nicht einmal echte Hippies, wie die Familie von Charles Manson, sondern die eine ist Sekretärin und die andere Zahnarzthelferin. Da sind ihm sogar Jennys Eltern noch lieber, diese rednecks aus dem Mittleren Westen, die Jenny unbedingt mit Eduard bekannt machen will, als sie für eine Woche in die Großstadt kommen. Der Vater, ein ehemaliger Mitarbeiter des FBI , hat erstaunliche Ähnlichkeiten mit Wenjamin. Als Eduard ihm das sagt und hinzufügt, sein Vater arbeite für den KGB , nickt der andere und erklärt schulmeisterlich, es gäbe überall tüchtige Leute: »Das amerikanische und das russische Volk sind voll von tüchtigen Leuten, nur die Machthaber sorgen für Verwirrung und die Juden.« Er erzählt stolz, dass Edgar Hoover zur Geburt jedes seiner Kinder Geschenke geschickt habe, und als er erfährt, dass Eduard schreibt, wünscht er ihm, er möge so erfolgreich sein wie Peter Benchley, der Autor von Der weiße Hai . Mit seinem Bier in der Hand und seinem Karohemd gefällt dieser arglose treue Gaul Eduard besser als seine Tochter.
Man könnte die Dinge ganz gelassen sehen, so wie Jenny sie sieht: Sie hat einen glänzenden Posten. Sie wohnt in einer prachtvollen Behausung mit allem erdenklichen Luxus, und außer an den paar Tagen im Monat, an denen Steven da ist und sie natürlich auf Zack sein muss, genießt sie dort eine königliche Ruhe. Sie empfängt, wen sie will, bezahlt nichts, und für ein bisschen Verfügbarkeit und Geduld genießt sie alle
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