Limonow (German Edition)
doch er erklärt es sich damit, dass sie wohl irische Wurzeln habe. In der Hoffnung, ihr Herz zu rühren, erzählt er ein paar Episoden aus seinem Liebesleben: über seine erste Frau und ihren Wahnsinn, über die zweite, die ihn verließ, weil er kein Geld besitzt, über seine Mutter, die ihn in die Psychiatrie einbuchten ließ … Es funktioniert, sie ist tief bewegt, sie schlafen miteinander.
Ihr Zimmer in der obersten Etage ist kleiner, als er gedacht hätte. Ihre rustikale Möse tut nicht dieselbe Wirkung wie die so zierliche von Elena. Jenny liebt mit der Gelassenheit einer Kuh und schockiert ihn – ihn, der sich für so schwer zu schockieren hält –, als sie ihm ungeniert sagt, sie habe ihn vor zwei Wochen nicht deswegen abgewiesen, weil er ihr nicht gefalle, sondern weil sie eine Blasenentzündung gehabt habe. Doch am nächsten Morgen bereitet sie ihm ein herrliches Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft, Pancakes mit Ahornsirup und Eiern mit Speck, und er sagt sich, dass es trotz allem großartig sein müsse, jeden Morgen an der Seite einer liebenden Frau aufzuwachen, in einem warmen Bett mit gut gemangelten Laken, bei gedämpften Vivaldiklängen und einem Geruch nach Toast, der aus der Küche aufsteigt.
6
In Die Geschichte seines Dieners , dem Buch, in dem er all das erzählt, gibt es keine Schlüsselszene, in welcher der Held seinen Irrtum erkennt, und jetzt, da ich es wiederlese, bleibt es mir ein Rätsel, wie ein so aufmerksamer Beobachter wie Eduard fast einen Monat brauchen konnte, um zu begreifen, dass die reiche Erbin in Wirklichkeit die Haushälterin war. Sie hatte nichts zu verheimlichen versucht. Wahrscheinlich war sie völlig ahnungslos, welcher Verwechslung er aufgesessen war und wie groß seine Enttäuschung war, als diese sich aufklärte. Einen Augenblick lang hatte er geglaubt, in den Kreis der Glücklichen dieser Welt aufgenommen worden zu sein, und das war er ja auch, aber als Liebhaber des Dienstmädchens.
Da Eduard jetzt ihr boyfriend ist, wie Jenny annimmt, kann sie ihn auch ihrem Arbeitgeber vorstellen. Der Hausherr heißt Steven Grey. Er ist ein gutaussehender Vierziger, Genießer und Milliardär. Nicht Millionär, Milliardär. Auf Englisch: billionaire . In seinem Buch gibt Limonow ihm den Spitznamen Gatsby, allerdings zu Unrecht, denn dieser Gatsby ist ein Erbe, der keinen Knacks hat und sich seines Platzes auf Erden vollkommen sicher ist, das heißt das Gegenteil eines Gatsby. Er besitzt einen hochherrschaftlichen Landsitz in Connecticut, wo seine Frau und ihre drei Kinder leben, und wenn er nicht gerade in der Schweiz Ski fährt oder im Indischen Ozean tauchen geht, kommt es vor, dass er in seinem New Yorker Zweitwohnsitz am Sutton Place logiert, über dessen Ordnung die Perle Jenny wacht. Sie ist die Einzige, die ständig darin wohnt, doch jeden Tag kommen ihr noch eine haitianische Putzfrau und ein Sekretär zur Hilfe, der sich um die Post kümmert. Diese verkleinerte Belegschaft (in Connecticut sind sie ein gutes Dutzend) lebt in der ständigen Erwartung und, man muss es deutlich sagen, in der Befürchtung, der Hausherr könne auftauchen, doch das passiert glücklicherweise recht selten und wenn, dann selten für länger als eine Woche – noch besser wäre es allerdings, er käme gar nicht, meint Eduard.
Nicht, dass er tyrannisch wäre. Doch er ist ungeduldig, immer in Eile und wegen Belanglosigkeiten zu Wutausbrüchen fähig, für die er sich später entschuldigt, bemüht, wie er ist, als liberaler Arbeitgeber – wäre man nicht in Amerika, würde man fast sagen als linker Arbeitgeber – dazustehen. Die Frage nach dem Du oder Sie erübrigt sich im Englischen, doch wie Steven Jenny beim Vornamen nennt, so nennt sie ihn Steven, und Eduard wird eingeladen sein, es ihr gleich zu tun. Um nichts auf der Welt würde Steven sich seiner Klingel bedienen oder sich das Frühstückstablett bringen lassen: Es muss allerdings jederzeit bereit stehen, der Tee genau lang genug gezogen und die Toasts genau richtig gebräunt sein, wann auch immer er aufwacht; aber er kommt selbst in die Küche herunter, um es zu holen, und wenn er dort, wie es immer öfter vorkommt, Eduard beim Lesen der New York Times antrifft, geht seine Feinfühligkeit so weit, dass er diesen fragt, ob es ihn störe, wenn er sie mitnähme. Eduard würde schrecklich gern antworten – nur um zu sehen, was passiert –: »Ja, es stört mich«, doch natürlich antwortet er: »Nein, Steven, sie liegt für
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