Limonow (German Edition)
Reichen aus der obersten Etage einsperren und foltern würde. Die Tapferen und Starken, die aus allen Himmelsrichtungen herbeiströmen, um sich hervorzutun und zu Ehren zu kommen. Die Pärchen von Homosexuellen, die sich um die Taille halten. Die Minderjährigen, die sich lieben. Die Maler, Musiker und Schriftsteller, deren Werke niemand kauft. Der große und tapfere Stamm der Versager, losers auf Englisch, neudatschniki auf Russisch. Sie alle werden kommen, sie werden zu den Waffen greifen und Stadt für Stadt einnehmen, sie werden die Banken zerstören, die Fabriken, die Büros, die Verlagshäuser, und ich, Eduard Limonow, werde an der Spitze der Kolonne marschieren, und alle werden mich erkennen und mich lieben.«
Nach ihrer Rückkehr aus den Ferien sagt Jenny ihm in ernstem Ton, sie müsse mit ihm reden. Er hatte nicht damit gerechnet, er hatte keinen Verdacht gegen diesen schnauzbärtigen Trampel im Holzfällerhemd gehegt, bei dem am Vorabend seiner überstürzten Abreise ein Barbecue stattfand – und jetzt erfährt er, dass Jenny zu ihm nach Kalifornien ziehen, ihn heiraten und mit ihm Kinder haben werde, im Übrigen sei sie bereits schwanger. »Das zwischen uns, das war doch nicht wirklich Liebe«, sagt sie freundlich zu Eduard, nur eine schöne Freundschaft, die trotz der Entfernung nicht enden müsse, ganz im Gegenteil. Als wie immer nettes Mädchen will sie nicht, dass er leidet; und er spielt den Typen, der sie versteht und ihr wünscht, glücklich zu werden, der auch findet, es sei besser so, aber in Wirklichkeit leidet er, an einem Schmerz, der ihn überrascht und quält. Er hatte immer geglaubt, er wäre es, der sie einmal verlassen würde, nicht umgekehrt. Auch wenn er sie nicht liebte, war er sich sicher, sie würde ihn lieben, und diese Gewissheit hatte ihn beruhigt. Es gab jemanden, der auf ihn wartete, es gab eine Zuflucht, und jetzt gibt es nichts mehr. Die Welt ist ihm wieder feindlich gesinnt und der Wind draußen kalt.
Am Sutton Place bleibt er ein willkommener Gast für eine Tasse Kaffee, aber nicht für mehr. Wenn Steven ihn trifft, besitzt er den schlechten Geschmack, ihm auf die Schulter zu klopfen, als wolle er ihn darüber hinwegtrösten, dass man ihn habe sitzenlassen – ihn, Limonow, von dieser Kuh sitzengelassen! Steven fragt ihn, was er jetzt tun werde. Das Buch ist immer noch im Lektorat, ein schlechtes Zeichen. Da Steven von seinen Fähigkeiten als Bastler weiß, erzählt er ihm von einem seiner Freunde, der jemanden sucht, um schwarz in seinem Landhaus Handwerksarbeiten zu erledigen. So findet Eduard sich zwei Monate lang auf Long Island wieder, wo er für vier Dollar die Stunde mit Schaufel und Kelle hantiert. Die reichen New Yorker, die in diesen eleganten Seebädern Wohnungen besitzen, suchen diese im Herbst nur am Wochenende auf. Unter der Woche ist keiner da. Das Haus ist weder geheizt noch möbliert. Eduard campiert auf einer Schaumstoffmatratze, die er mithilfe einer Plane mehr schlecht als recht gegen den feuchten Boden isoliert, rührt auf einem Gaskocher Tütensuppen an und zieht mehrere Pullover übereinander, ohne dass es ihm gelänge, sich aufzuwärmen. Manchmal, wenn sich der Himmel aufklart, geht er an den Strand Möwen aufscheuchen oder ins nächstgelegene Kaff, um in der einzigen, menschenleeren Bar ein Bier zu trinken – und wird auf dem Rückweg garantiert vom Regen bis auf die Knochen durchweicht. Dann kriecht er schlotternd in seinen Schlafsack und träumt davon, wie Jenny es mit ihrem schnauzbärtigen Hinterwäldler treibt. Hätte man ihm zu der Zeit, als sie zusammen waren, gesagt, dass er eines Tages beim Wichsen an sie denken würde …
Bis auf den Chef der Bar und des Supermarkts, in dem er sich mit Lebensmitteln versorgt, spricht er wochenlang mit niemandem. Obwohl er einigen menschlichen Wesen, die er noch als Vertraute betrachtet – Schmakow, Lionja Kossogor, Jenny –, seine Nummer hinterlassen hat, klingelt das Telefon nie. Niemand denkt an ihn, niemand erinnert sich an seine Existenz. Außer eines Tages sein Agent, und zwar um ihm mitzuteilen, dass Macmillan sein Manuskript abgelehnt habe. Zu negativ. In der Tat lautet der letzte Satz des Buches: » Fuck off! « … Der Agent sagt, er würde nicht aufgeben, er denke da an andere Verlage, doch er scheint selbst nicht daran zu glauben. Er hat es eilig, dieses unangenehme Gespräch zu beenden und aufzulegen. Er legt auf. Eduard bleibt allein, mutterseelenallein, auf seinem Zementsack in
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