Limonow (German Edition)
entschied mich für Werner Herzog. Ich bewunderte seine Filme, die damals ihre größten Erfolge feierten, aber vor allem bewunderte ich Herzog selbst. Um seine Zeit nicht damit zu verlieren, andere für deren Finanzierung gewinnen zu müssen, hatte er in einer Fabrik gearbeitet und seine inbrünstigen Dokumentarfilme, in denen man Überlebende von Katastrophen, Außenseiter und Trugbilder sah, allein produziert. Für Aguirre, der Zorn Gottes hatte er den Dschungel des Amazonas und den Wahnsinn seines Hauptdarstellers Klaus Kinski bezähmt. Er hatte im Winter zu Fuß und in direkter Linie Europa durchquert, um zu verhindern, dass sich der Tod einer sehr alten Dame bemächtige, Lotte Eisner, dem Gedächtnis des deutschen Films. Mit seiner Stärke, seiner Körperlichkeit und seiner Energie stand er dem Geist der Leichtfertigkeit und Ironie, der uns Parisern Anfang der Achtzigerjahre eigen war, total fremd gegenüber; er bahnte sich seinen Weg unter extremen Umständen, forderte die Natur heraus, drangsalierte nötigenfalls die Einheimischen und ließ sich weder von der Vorsicht noch den Skrupeln derer aufhalten, die ihm nur mit großer Mühe folgen konnten. Mit ihm atmete das Kino etwas Anderes als bei den verfilmten Kaffeehausgesprächen der ehemaligen Schüler des IDHEC . Kurz, ich verehrte Herzog wie einen Übermenschen, und einem Schema folgend, das seit einigen Seiten klar sein dürfte, litt ich darunter umso mehr, als ich nicht selbst einer war.
Diese Qualen erlebten gewissermaßen ihren Höhepunkt, als mich das Magazin Télérama kurz nach Erscheinen meines Buchs zum Festival nach Cannes schickte, um Herzog zu interviewen, der dort seinen neuen Film vorstellte: Fitzcarraldo . Meine Freunde waren der Meinung, ich könne mich glücklich schätzen, nach Cannes fahren zu dürfen. Ich dagegen fand es furchtbar, es würde ein Schauspiel der permanenten Erniedrigung werden. Als freier Journalist war ich ein Anfänger ohne Beziehungen und verortete mich auf einer sehr niedrigen Stufe jener Leiter, die von den über den Wolken schwebenden Stars hinabreicht zum braven Volk, das sich hinter den Absperrungen drängelt, um einen flüchtigen Blick auf die Stars oder mit etwas Glück ein Foto mit ihnen zu erhaschen. Nur wenig über diesem braven Volk situiert, doch ohne die Naivität, die es diesem erlaubt, sich mit seinem Schicksal zufrieden zu geben, besaß ich einen Button, der mir gestattete, die Vorstellungen zu den unbequemsten Zeiten zu besuchen; ich gehörte zum untersten Fußvolk. Für den Tag, an dem Fitzcarraldo im Wettbewerb lief, hatte der Verleger die Idee, nach der Vorführung im Festivalpalais eine Signierstunde abzuhalten. Und so fand ich mich hinter einem kleinen Tisch voller Exemplare meines Buchs wieder und wartete auf Kunden – so wie es mir später oft in Buchhandlungen oder auf Messen erging. Diese Situation kann schwer erträglich sein, und zu meiner Feuertaufe lernte ich sie in ihrer grausamsten Form kennen. Denn die Zuschauer, die in Cannes aus einer Vorführung strömen, werden den ganzen Tag lang mit Dokumenten bombardiert – Pressemappen, Fotobüchern, Lebensläufen und allen möglichen Broschüren –, von denen sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Die Vorstellung, zu diesem Anlass etwas Gedrucktes zu kaufen , ist für sie vollkommen absurd. Die meisten der an meinem Tisch vorbeiziehenden Leute schenkten mir nicht die geringste Aufmerksamkeit, doch einige ließen mit der mechanischen, überdrüssigen Geste des Buffetparasiten – der jedes Mal, wenn das Tablett vorbeikommt, ein Glas Champagner herunternimmt, weil es gratis ist – ein Exemplar meines Buches mitgehen, entfernten sich und suchten mit den Augen schon nach einem Mülleimer, um es wieder loszuwerden wie eine Wahlwerbung, die man aus Nachlässigkeit oder aus Höflichkeit mitgenommen hat; und ich war gezwungen, ihnen hinterherzulaufen und ihnen in einem Ton der Entschuldigung zu erklären, dass das Buch zum Verkauf stehe.
Doch diese Erfahrung war noch gar nichts im Vergleich zum Interview mit Herzog. Am Vorabend des Tags, für den es angesetzt war, hatte ich Herzog über seinen Pressesprecher mein Buch zukommen lassen. Da ich wusste, dass er kein Französisch las, erwartete ich keinen besonderen Kommentar, aber doch, dass er einen jungen Mann begrüßen würde, der gerade ein Jahr damit verbracht hatte, mit mehr Inbrunst über sein Werk zu schreiben als dieser Aufmarsch an blasierten Journalisten, denen er im
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