Limonow (German Edition)
dreißig, die sein Buch gelesen hatten und ein Interview zum Vorwand nahmen, um ihn kennenzulernen, danach ein paar Gläser zu trinken, zusammen zu essen, auszugehen und Freundschaft zu schließen. Als einer, der gerade erst angekommen war, niemanden kannte und schlecht Französisch sprach, war Limonow an solchen Beziehungen natürlich äußerst interessiert, und dank Leuten wie Thierry Marignac, Fabienne Issartel, Dominique Gaultier oder meinem Freund Olivier Rubinstein gehörte er schnell zu der kleinen Clique von angesagten Parisern, die man auf Vernissagen, bei Verlagsempfängen oder Soireen im Palace traf und danach im Bains-Douches … Ich selbst zählte nicht zu dieser Clique, vielmehr gab ich vor, sie zu verachten, denn im Grunde schüchterte sie mich ein. Es ist traurig, aber ich bin nie im Palace gewesen. Später lief ich Limonow von Zeit zu Zeit über den Weg, meistens auf den Feten bei Olivier. Wir grüßten uns von fern oder wechselten wenige Worte. Für mich war er sehr präsent, ich dagegen sehr wenig für ihn, dachte ich, und deshalb war ich vollkommen sprachlos, als er sich fünfundzwanzig Jahre später in Moskau genauestens an die Umstände unserer Begegnung erinnerte, an die Radiosendung und sogar an mein Motorrad. »Eine rote Honda 125, nicht?«
Ja, genau.
Ich glaube, seine ersten Jahre in Paris waren die glücklichsten seines Lebens. Er war gerade noch der Not und der Anonymität entkommen. Das Erscheinen von Ein russischer Dichter und Tagebuch eines Versagers hatte ihn zu einem kleinen Star gemacht, und das in einem Milieu, welches ihm gefiel: Weniger jenes der seriösen Verlagswelt und Literaturkritik als das der jungen Szene-Leute, die seine Aufmachung, sein unbeholfenes Französisch und seine mit großer Gelassenheit vorgebrachten provokanten Äußerungen sofort liebten. Fiese Witze über Solschenizyn und Toasts auf Stalin – genau das wollte man damals in diesem Milieu hören, in dem man politische Leidenschaft und den Hippie-Unsinn begraben hatte und nur noch auf Zynismus, Illusionslosigkeit und eiskalte Leichtfertigkeit schwor. Selbst hinsichtlich des Outfits stand der Sowjetstil in der Gunst der Post-Punks, die dicke Hornbrillen à la Politbüro genauso liebten wie Insignien des Komsomol oder Fotos von Breschnew, der Honecker auf den Mund küsst – und Limonow war zunächst perplex und dann gerührt, als er einmal an den Füßen einer sehr angesagten Designerin PVC -Stiefeletten mit Druckknöpfen sah, die exakt denen glichen, die seine Mutter Anfang der fünfziger Jahre in Charkow getragen hatte.
Er, der sich so oft darüber beklagt hatte, auf die Kategorien C und D abonniert zu sein, hatte nun Zugang zu Frauen der Klasse A und selbst A+, wie einer berühmten Pariser Schönheit, der er bei einem mondänen Dinner praktisch an die Wäsche ging – denn inzwischen lud man ihn zu mondänen Dinners ein. Im weiteren Verlauf des Abends zogen sie zusammen los, machten eine Tour durch die Bars, und im Morgengrauen nahm sie ihn mit in ihr elegantes Appartement in Saint-Germain-des-Près. Sie hatte den schönsten Busen, den er jemals gesehen hatte, aber das war nur der Anfang des Märchens, denn es stellte sich heraus, dass sie eine Komtesse war – eine echte Komtesse! – und jeden in Paris kannte. Obendrein war sie lustig, langte beim Trinken kräftig zu, rauchte Kette, fluchte wie ein Droschkenkutscher und war zur Zeit ihrer Begegnung ungebunden. Eduard, der damit zum Liebhaber der Saison gekrönt war, machte seinerseits starken Eindruck auf den kleinen Kreis von Homosexuellen, der ihn umgab, und spielte seine Rolle des charmanten Ganoven zur allgemeinen Befriedigung. Die schmeichelhafte Verbindung mit der Komtesse dauerte einige Monate. Ein kleiner Karrierist hätte versucht, Profit daraus zu schlagen, aber das muss man Eduard lassen: Er ist kein kleiner Karrierist. Selbst wenn er es gern wäre, besitzt er das Talent, genau das zu tun, was man nicht tun sollte, wenn man in der Welt nach oben kommen will. Im Herbst 1982, als er von seinem amerikanischen Verleger nach New York eingeladen wurde – denn er hatte jetzt einen amerikanischen Verleger –, begegnete er in einer Bar einer fünfundzwanzigjährigen Russin, die dort sang, nahm sie mit nach Paris und quartierte sie in seiner Einzimmerwohnung ein. Falls die Komtesse unter dem Bruch litt, ließ sie sich nichts anmerken: Eduard und sie hörten auf, sich zu sehen, denn die Russin war eifersüchtig, aber aus der Ferne blieben sie
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