Limonow (German Edition)
malte ich mir aus, wie ich auf der Terrasse eines Bambushauses am Meer schreiben würde. Mit nacktem Oberkörper und einem Sarong beschürzt würde ich einen Zug vom Joint nehmen, den Muriel mir hinüberreichte, bevor sie baden ginge, und ich würde zusehen, wie sich ihre Hüften wiegten, während sie blond, sonnengebräunt und zauberhaft auf dem Strand in die Ferne rückte, und ich sagte mir, solch ein Leben wäre uns angemessen. Also suchten wir eine Möglichkeit, um es tatsächlich zu führen, und trafen zunächst eine kluge Wahl: In den Läden von Kuta gab es Bikinis von mittelmäßiger Qualität, aber recht hübschem Design, die mit Goldfäden durchwirkt waren. Nach Auskunft mehrerer Fabrikanten konnte man sie für einen Dollar pro Stück kaufen und laut Muriel in Paris für das Zehnfache wieder verkaufen. Wir investierten also unser gesamtes Geld inklusive der Aufwandsentschädigung, auf die Entwicklungshelfer am Ende ihrer Dienstzeit Anspruch haben, in die Order von fünftausend Bikinis, die auf Kosten des Quai d’Orsay nach Frankreich befördert werden sollten und dazu dienen würden, jene Geldquelle zum Sprudeln zu bringen, durch die wir ein Leben zwischen Paris und Bali, vor allem aber in Bali führen würden.
Ich kürze ab: Als der Fabrikant mir die Kartons lieferte, hatte mich Muriel einen Monat zuvor wegen eines älteren, selbstsichereren und cooleren Hippies verlassen, mit dem der verquälte und zunehmend unausstehliche junge Mann, der ich war, offensichtlich nicht mithalten konnte. Und nachdem ich von einem Leben als freier und ungebundener Weltenbummler geträumt hatte, kehrte ich allein und unglücklich nach Paris zurück, beladen mit dem Manuskript eines Erstlingsromans, der von einer berückenden Liebesgeschichte und fünftausend golddurchwirkten Bikinis erzählte, die das Debakel dieser Liebe und, so dachte ich, meines Lebens heraufbeschworen hatten. Ich habe den Winter, der auf diese Rückkehr folgte, in fürchterlicher Erinnerung. Ich war zwar nie dick gewesen, doch die Hitze der Tropen hatte mich noch einmal um zehn Kilo zusammenschmelzen lassen, und was dort als grazile asiatische Schlankheit durchgehen konnte, entpuppte sich im grauen Paris als Magerkeit eines Gespensts oder eines Schwerkranken. Der mir zugeteilte Platz auf Erden schrumpfte ein, auf der Straße rempelte man mich an, weil man mich nicht sah, und ich hatte sogar Angst, überrannt zu werden. In der Einzimmerwohnung, die ich bewohnte, gab es eine Matratze direkt auf dem Boden und ein paar Stühle, als Tische dienten die beiden Schrankkoffer mit den Bikinis. Wenn mich ein Mädchen besuchte, ermunterte ich es, sich zu bedienen und gleich fünf oder zehn oder so viele sie wollte mitzunehmen. Die Bikinis waren kein großer Renner, ich erinnere mich nicht einmal, wann und wie ich sie losgeworden bin. Mein Roman flößte mir nur noch Ekel ein, trotzdem schickte ich ihn an ein paar Verleger, und ihre Ablehnungsschreiben verteilten sich über den Winter. Ich hatte mir ausgemalt, mein Triumph als Schriftsteller würde meine Niederlage als Abenteurer und Liebhaber wettmachen, aber offenbar hatten alle drei versagt.
2
Zwei Jahre zuvor war meine Mutter berühmt geworden. Als Akademikerin, die bis dahin nur von ihresgleichen wertgeschätzt worden war, hatte sie auf Anfrage eines klugen Verlegers die Forschungen, die sie seit Beginn ihrer Karriere verfolgte, in einem Buch zusammengefasst, und es wurde ein Bestseller. Die Grundthese von Das zersplitterte Imperium war damals neu und gewagt: Man täte falsch daran, so meine Mutter, die Ud SSR mit Russland in eins zu setzen. Die Sowjetunion sei ein Mosaik aus Völkern, die mehr schlecht als recht zusammenhielten und in dem die ethnischen, sprachlichen, religiösen und vor allem muslimischen Minderheiten so zahlreich und unzufrieden mit ihrem Los seien und sich so rasch vermehrten, dass sie früher oder später zwangsläufig die Mehrheit stellen und die russische Hegemonie bedrohen würden. Von daher täusche man sich auch, so die Schlussfolgerung aus ihrer These, wenn man glaube – so wie es 1978 jeder oder fast jeder tat –, das sowjetische Imperium würde noch Generationen lang fortbestehen. Vielmehr sei es fragil, von seinen Nationalitäten ausgehöhlt wie von Termiten, und es könne sehr wohl bald in sich zusammenstürzen.
Es ist nicht wirklich auf diese Art und Weise zerfallen, aber dennoch bewahrheitete das neuanbrechende Jahrzehnt die Intuitionen meiner Mutter und verlieh ihr
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