Limonow (German Edition)
daran, um 7 Uhr morgens an seinem Schreibtisch zu sitzen. Er sagt, und ich glaube ihm, er habe alles getan, um Natascha vor ihrem Dämon zu beschützen, er überwachte sie, versteckte die Flaschen und redete ihr vor allem immer wieder zu, es sei kriminell, ein Talent, das man besitze, verkümmern zu lassen. Er konnte ihr soviel Zuversicht vermitteln, dass sie eine Zeit lang vollkommen zu trinken aufhörte; währenddessen schrieb sie ein Buch über ihre Vorstadt-Jugend in Leningrad mit dem Titel Mama, ich liebe einen Verbrecher , das Olivier publizierte. Doch diese Ruhepause dauerte einige Monate, dann stürzte sie wieder ab: in den Alkohol, aber nicht nur in diesen. Sie verschwand für zwei, drei Tage. Verrückt vor Sorge irrte Eduard auf der Suche nach ihr durch Paris, rief ihre Freunde an, im Krankenhaus, auf den Polizeiwachen. Am Ende kam sie verstört, dreckig und auf ihren hohen Absätzen wankend zurück. Sie warf sich aufs Bett, und er musste ihren schwer gewordenen, schon verblühenden Körper aufheben, um sie auszuziehen. Als sie nach achtundvierzig Stunden wieder zu sich kam, kümmerte er sich um sie wie um ein krankes Kind und brachte ihr auf einem Tablett heiße Brühe, doch er fragte sie auch aus, und sie behauptete, sich an nichts zu erinnern. Sapoj .
Gemeinsame Freunde sagten ihm so taktvoll wie möglich, dass sie nicht nur bis zum Umfallen trank, sondern auch Männer aufriss, oft Unbekannte. Und wenn diese Freunde sich durchgerungen hatten, ihm Derartiges zu sagen, dann deshalb, weil es potenziell gefährlich war. Sie gestand ihm unter Tränen: Sie mache das, seit sie vierzehn sei. Danach schäme sie sich jedes Mal, verspreche sich selbst, nicht noch einmal damit anzufangen, dann aber beginne sie von vorn, ohne sich davon abhalten zu können. Früher mochte das Wort Nymphomanie bei Eduard angenehm schlüpfrige Vorstellungen ausgelöst haben: Wenn alle Mädchen Nymphomaninnen wären, sagte er, wäre das Leben auf Erden lustiger. In der Realität war es ganz und gar nicht lustig. Die umwerfende, glühende Frau, die er liebte, diese Frau, auf die er so stolz war und der er Treue und Beistand geschworen hatte, war eine Kranke, noch eine. Auf heftige Streitereien folgten leidenschaftliche Versöhnungen im Bett. Sie weinte, und er tröstete sie, schloss sie in die Arme, wiegte sie und sagte ihr, sie könne auf ihn zählen, er sei immer für sie da, er würde sie retten. Dann fing alles von vorn an, und sie wehrte sich gegen seine Hilfe wie ein Ertrinkender, der nach seinem Retter schlägt und ihn mit auf den Grund ziehen will. Sie trennten sich mehrere Male und fanden ebenso oft wieder zusammen, nach dem klassischen Schema: nicht mit dir und nicht ohne dich.
Eduard hatte den Ehrgeiz, vom Status eines etwas bekannten Schriftstellers zu dem eines wirklich berühmten zu wechseln, und er wusste, dass dafür Disziplin nötig war. Er ging selten nach Mitternacht schlafen und stand dafür im Morgengrauen auf, und nach seinem Liegestütz- und Hanteltraining setzte er sich für seine täglichen fünf Stunden Arbeit an die Schreibmaschine. Danach befand er sich für frei, draußen herumzustreunen, vorzugsweise durch die schicken Viertel wie Saint-Germain-des-Prés oder Faubourg Saint-Honoré, auf die er sich nicht ohne Stolz einen ungebrochenen Hass bewahrt hatte: Solange man bissig blieb, war man kein Haustier. In diesem Rhythmus schrieb und veröffentlichte er zehn Jahre lang jährlich ein Buch. Er hatte nur ein Thema, sein Leben, und dieses teilte er in Abschnitte auf. Nach der Trilogie »Eduard in Amerika« ( Fuck off, Amerika , Tagebuch eines Versagers , Die Geschichte seines Dieners ) durfte man Eduard als jugendlichen Straftäter in Charkow kennenlernen ( Portrait eines Banditen als junger Mann, Der kleine Dreckskerl ), und darauf Eduards Kindheit unter Stalin ( Die Große Epoche ), ohne die Sammlungen von Novellen mitzuzählen, in denen er das verarbeitete, was in den Romanen keinen Platz gefunden hatte. Es waren sehr gute Bücher: einfach, direkt und voller Leben. Die Verleger waren glücklich, sie zu veröffentlichen, die Kritiker, sie zu erhalten, und seine treuen Leser, zu denen auch ich zählte, sie zu lesen, doch zu seiner großen Enttäuschung erweiterte sich der Kreis seiner treuen Leser nicht. Einer seiner Verleger empfahl ihm, zur Abwechslung und um möglicherweise einen Preis zu gewinnen, einen echten Roman zu schreiben, am besten einen ordentlich gepfefferten. Eduard machte sich mit der
Weitere Kostenlose Bücher