Limonow (German Edition)
klimpert mit den Wimpern. Keiner im Saal weiß irgendetwas anderes über sie als das, was Top secret seit zwei Wochen skandiert, in der dieses Starlet und dieser seltsame crooner dargestellt werden, als seien sie im Westen Superstars, und das Bewusstsein dieses Betrugs verdirbt Eduard den Gefallen, den er daran gefundenen hatte, sich selbst auf einer Doppelseite als eine Art lite rarischen Rockstar beschrieben zu sehen. Als er an die Reihe kommt, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten, tut er, was er kann, um auf der Höhe dieses Portraits zu bleiben. Ja, er war Obdachloser und dann Kammerdiener eines amerikanischen Milliardärs. Nein, seine Exfrau ist nicht in New York auf den Strich gegangen, im Übrigen ist sie jetzt mit einem italienischen Grafen verheiratet – das entspricht absolut der Wahrheit – und da er merkt, dass der italienische Graf gut ankommt, nimmt er sich vor, ihn bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, zu erwähnen. Es fällt weder eine Frage zum Schwulsein noch zu den Negern, das Thema wurde vom Verfasser des Artikels ausgespart. Er denkt daran, es selbst anzuschneiden, um ein bisschen zu schockieren, hält es dann aber für klüger, sich an folgende Version seiner Rolle zu halten: ein kleiner Proll, der es geschafft hat, sich seinen Weg bis in den Jetset zu bahnen, ohne sich von Models, Gräfinnen und der westlichen Verderbtheit beeindrucken zu lassen; ein Typ mit Mumm in den Knochen, dem man nichts zu erzählen braucht.
Er war davon ausgegangen, dass nach ihm Schluss sei, doch Semjonow stellt noch einen Opa vor, der im Gulag gewesen ist und sich in eine lange Rede über die Notwendigkeit stürzt, »die Verbrechen der Sowjetunion vollständig an den Tag zu bringen«. Eduard hört sich das zunehmend gereizt an, und als der Opa mit zitternder Stimme erklärt, nicht eine Familie sei von den Säuberungsaktionen verschont geblieben und jeder könne einen Onkel oder einen Cousin aus seinem Umfeld nennen, den die Männer des NKWD eines Nachts abgeholt hätten und den man nie wieder gesehen habe, überkommt Eduard Lust, ihn zu unterbre chen: Es reiche mit dieser Gehirnwäsche, in seiner Familie sei niemand vernichtet worden und auch in den meisten Familien nicht, die er kenne! Doch dieses Mal hält er sich noch zurück, und um seine Ungeduld in Schach zu halten, schaut er sich das Publikum an. Wie schlecht sie alle gekleidet sind! Wie provinziell sie aussehen und wie seltsam leichtgläubig und misstrauisch zugleich … Ein paar hübsche Mädchen sind darunter, das muss man zugeben. Dafür nicht ein einziges vertrautes Gesicht, nicht einer seiner früheren Freunde: Sie scheinen die Zeitschriften Semjonows nicht zu lesen, oder sie sind vor Traurigkeit und Überdruss schon gestorben …
Die Konferenz kommt zu ihrem Ende, Eduard signiert einige handschriftliche Manuskripte, aber keine Bücher. Semjonow versichert selbstbewusst, man habe 300000 Exemplare seines Buches aufgelegt, doch niemand scheint es gelesen zu haben und wird es auch nirgendwo im Handel zu sehen bekommen. Eduard ist verblüfft, ich selbst sehe allerdings nichts Ungewöhnliches darin, führt man sich einmal das Vertriebssystem vor Augen. Als einer meiner Romane in Russland erschien und der Reise mit Paul zum Anlass diente, von der ich bereits sprach, nahm mich der Verleger in ein Lagerhaus mit, wo man gerade Paletten mit der gesamten Auflage belud, die demnächst in die Stadt Omsk verschickt werden sollte. Der Verleger sah es als einen großartigen Deal an, dass es ihm gelungen war, einem Omsker Großhändler weiß Gott wie 10000 Exemplare meines Buches anzudrehen. Er war ganz glücklich darüber, mich an diesem Geschäftserfolg teilhaben zu lassen, der bewies, dass ich mich in guten Händen befand, und er zog verständnislos die Augenbrauen hoch, als ich bemerkte, es sei aber doch seltsam: Warum ausgerechnet Omsk? Warum die ganze Auflage nach Omsk? Gibt es irgendeinen Grund zu der Annahme, dass sich alle potenziellen Leser des Buches Simni Lager ( Schneetreiben ) eines unbekannten französischen Autors versammelt in der sibirischen Industriestadt Omsk befänden? Diese Fragen kamen ihm absurd vor, wahrscheinlich machte ich auf ihn den Eindruck eines dieser pedantischen, immer unzufriedenen Autoren, die alle Buchhandlungen abklappern, sobald ihr Buch erschienen ist, und die dann anrufen und sich beschweren, es würde nirgendwo auf die Weise präsentiert, die ihm zustünde.
Zur Feier der gelungenen Veranstaltung schleppt Semjonow
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