Limonow (German Edition)
nach dem Tod des Sängers ohne seine Einwilligung noch einmal abdruckte und mit einer Anmerkung versah, in der er Nabe als »infam« bezeichnete.
(An mir ist dieses Abenteuer vorübergegangen – wie schon das des Palace . Seit der traurigen Epoche der Bikinis hatte ich einige Bücher veröffentlicht und Unterschlupf bei einer ganz andersartigen Familie gefunden: der der Autoren, die bei P. O.L oder den Éditions de Minuit veröffentlicht werden. Ich hatte deren Werte angenommen, die eher ästhetischer als politischer Natur waren und aufgrund derer ich nicht einmal Neugier für das aufbrachte, was mir aus der Ferne, ohne während seines fünfjährigen Bestehens jemals den Idiot gekauft zu haben, als eine Bande von Schreihälsen erschien. Allein schon, dass es eine Bande war: Die meine setzte sich aus Leuten zusammen, für die es eine Ehrensache war, nicht im Rudel aufzutreten. Wir wollten Einzelgänger sein, Zurückgezogene, denen es nicht um Aufsehen und Erscheinung ging. Unsere Helden waren Flaubert und Melvilles Bartleby, der auf alles, was man ihn fragt, »I would prefer not to« antwortet, und Robert Walser, der nach zwanzigjährigem Schweigen in einer Psychiatrie im vollkommenen Weiß des Schweizer Schnees gestorben war. Viele von uns machten eine Analyse. Ich hatte eine Freundschaft mit Echenoz geschlossen, die bis heute andauert, und ich bewunderte seine Bücher und seine makellose Haltung als Schriftsteller: seine leicht ironische Zurückhaltung, seine leicht melancholische Ironie; bei ihm konnte man sicher sein, dass er sich nicht in der Emphase oder im übermäßigen Gebrauch von Adjektiven suhlen würde. Wir betrachteten die Leute vom Idiot etwa so, wie man in der U-Bahn eine Horde von Paris-Saint-Germain-Fans betrachten würde, die sich mit Bier angesoffen haben und auf Schlägereien aus sind, und sie wiederum sahen uns wahrscheinlich als eine Sekte von blutlosen und anmaßenden Göttern des Parnass an. Aber das wäre schon zuviel des Guten: In Wirklichkeit sahen wir uns überhaupt nicht an und existierten nicht einmal füreinander.)
Kehren wir zum Essen bei Lipp zurück. Sehr erregt, mit zerzausten Haaren und seinen weißen Schal in den Teller getunkt erzählte Jean-Edern Eduard, wie er sein Auge verlor: Eine russische Kugel habe ihn in Berlin getroffen, wo sein Vater, der General Hallier, am Ende des Kriegs diente. Eine reine Erfindung: Jean-Edern hatte von diesem Unfall genauso viele Versionen auf Lager wie Gesprächspartner gegenüber. Es war eine Art zu verführen, und die beiden Männer verstanden sich prächtig. Jeder hatte ein schwarzes Schaf, für das der andere kaum Interesse zeigte, aber Eduard stimmte höflich zu, dass Mitterrand ein Widerling war, und Hallier, dass Gorbatschow auch einer war.
»Du solltest mal darüber schreiben.« Eduard wünschte sich nichts sehnlicher als das, doch müsse man einen Übersetzer finden. »Wir brauchen keinen Übersetzer. Ich verstehe dich, wenn du sprichst, also werde ich auch verstehen, was du schreibst.« So begann Eduard, auf Französisch zu schreiben und bei den Redaktionsversammlungen vom Idiot zu erscheinen, die in der großen Wohnung des Chefs an der Place des Vosges abgehalten wurden. Um zehn Uhr morgens und mit dem Beistand von Wodka fing man damit an und bei Sonnenuntergang hörte man auf. Wenn sich der Hunger meldete, kochte Jean-Ederns Haushälterin Louisa Makkaroni. Zu denen, die tatsächlich die wöchentlichen acht Seiten des Idiot gestalteten, gesellten sich die unterschiedlichsten Leute dazu, hockten sich fest, stritten sich, und statt sie zu beschwichtigen, stachelte der entzückte Hausherr ihre Streitereien noch an: Das war sein Vergnügen und der Treibstoff für seine Zeitung. Bei Eduards erstem Besuch waren Patrick Besson, Marc-Édouard Nabe, Philippe Sollers und Jacques Vergès anwesend. Man wartete auf Le Pen, stattdessen kam schließlich der Gewerkschaftler Henri Krasucki, und Sollers setzte sich ans Klavier, um die Internationale zu singen. Gabriel Matzneff erklärte sich entzückt, neben dem Artikel, in dem er selbst »Michel Gorbatcheff« anpries – wie er dessen Namen zu buchstabieren pflegte –, denjenigen zu finden, in dem Limonow für denselben das Standgericht forderte und zwölf Kugeln ins Leder. Entsprechend seinem Ruf trieb Matzneff seinen Anstand so weit, dem jungen Mitstreiter auch noch zu seinen Fortschritten im Französischen zu gratulieren.
Eduard kehrte umso regelmäßiger wieder, als er gleich um die Ecke
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