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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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wohnte, manchmal brachte er auch Natascha mit, und je öfter er kam, desto wohler fühlte er sich. Extreme Rechte und extreme Linke betranken sich Schulter an Schulter, die widersprüchlichsten Meinungen kamen nebeneinander zu stehen, ohne dass es in Frage kam, wegen etwas so Vulgärem wie einer Diskussion in die Luft zu gehen. Man tauschte Techniken aus, wie man sich am besten von Jean-Edern bezahlen ließ (»Mit der einen Hand gibst du ihm den Artikel, mit der anderen nimmst du die Scheine«: die Sollers-Methode), man stritt mit ihm, verkrachte sich, versöhnte sich wieder, und man nahm auch nachts das Telefon ab, weil er die Angewohnheit hatte, aufgrund seiner Schlaflosigkeit um 5 Uhr morgens anzurufen. Der Drucker war nicht bezahlt worden, ebensowenig die Anwälte, die Gläubiger warteten, es hagelte Prozesse wegen übler Nachrede, niemand wusste, womit die nächste Nummer gemacht werden sollte. Eduard mochte sich in Die drei Musketiere wähnen, die er als Jugendlicher so geliebt hatte – die Kulisse der Place des Vosges trug das ihrige dazu bei –, und sich selbst als einen schreibenden d’Artagnan sehen, der durch einen feudalen Spinner in den Ritterstand von freimütigen Trinkern und Streitern erhoben worden war, welcher in seiner Maßlosigkeit Porthos ähnelte, in seinen faulen Machenschaften Aramis und, wenn man so will, mit seiner grundlegenden Melancholie, aufgrund derer man ihm immer wieder verzieh, vielleicht sogar Athos. Jeder braucht in seinem Leben eine Bande, meinte Eduard, und in Paris gab es keine lebendigere als diese.

V

Moskau,
Charkow,
Dezember 1989

1
    Auf dem Weg vom Flughafen nach Moskau erinnert sich Eduard an dieselbe Fahrt in umgekehrter Richtung. Er hatte einen fürchterlichen Brummschädel gehabt und sich auf dem Rücksitz des Wagens ausgestreckt, den Kopf auf Elenas Knien. Sie hatte sein Haar gestreichelt und zugeschaut, wie vor den Scheiben streifenweise Wohnblöcke und weitläufige Wälder vorbeizogen, die sie beide sicher waren, nie wiederzusehen. Das war im Februar 1974 gewesen, es hatte geschneit. Auch im Dezember 1989 schneit es. Fünfzehn Jahre sind vergangen, er hat Elena verloren und kommt allein in dieses Land zurück, und er kommt – auch wenn man nicht zu genau hinschauen darf – als Sieger zurück. Die beiden anderen Gäste und er sind in der Business Class gereist und am Flughafen als VIP s empfangen worden. Während die anderen gemeinsam mit der für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen, jungen, recht hübschen Frau auf den Hintersitzen des Minibusses Platz genommen haben, hat Eduard sich lieber neben den Fahrer gesetzt, einen mürrischen Mann mit blaurotem Gesicht, mit dem er ein Gespräch in Gang zu bringen versucht. Es ist ihm wichtig, diesem Russen von der Basis – dem ersten, mit dem er zu tun hat, seit er wieder einen Fuß auf Heimatboden gesetzt hat – zu zeigen, dass er trotz seiner Jahre im Ausland und trotz seines Erfolgs ein Mann aus dem Volk geblieben ist, der dieselbe Sprache spricht wie er. Aber der Fahrer bleibt verschlossen und hinter einer leicht feindseligen Gleichgültigkeit verschanzt, und auch mit dem Personal des Hotels Ukraine ist es nicht anders, zu dem die drei Besucher gefahren werden.
    Das Hotel Ukraine, eine Mischung aus neugotischer Bank und byzantinischem Gefängnis, gehört zu den sieben stalinistischen Wolkenkratzern, die Moskau eine Ähnlichkeit mit Gotham City aus Batman verleihen, und für Moskau ist es ein Luxushotel, das hohen Gästen und Würdenträgern der Partei vorbehalten ist. Eduard ist ergriffen, als er dessen Pforten betritt, was er zu seinen Zeiten als junger Underground -Dichter nie gewagt hätte. Außerdem überrascht es ihn, dass in der Empfangshalle, die weitläufig wie eine Kathedrale ist, nicht jene feierliche Stille herrscht, die den Orten der Macht eigen ist, sondern ganz im Gegenteil ein Stimmengewirr wie auf einer Messe oder einer Rennbahn, ein Kommen und Gehen von finsteren Typen mit öligen Haaren und lauten Stimmen, die sogar ihre schlammigen Schuhe auf den niedrigen Tischen ablegen.
    Seine – nach Kriterien, die ihm nicht mehr geläufig sind – luxuriöse Suite wird von ganz weit oben, aus mindestens vier Metern Höhe, von einer sehr schwachen Birne erleuchtet und ist so wohnlich wie der Kühlraum einer Metzgerei. Früher hätte man sichergehen können, dass Wände und Telefon mit Wanzen gespickt sind, aber jetzt ist man sich nichts mehr sicher. Man konnte gewiss sein, dass es als jemand, der

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