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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denn dein Herz kennt den Weg
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Vaters an jenem letzten Abend verließ«, erwiderte er
bitter, »erklärte er mir, daß du nicht mehr wünschtest, mich zu heiraten.
Andere Arrangements seien getroffen worden, sagte er. Ich verlangte, dich zu
sehen – tatsächlich durchsuchte ich das ganze Haus nach dir –, aber du warst
fort, vermutlich schon bei meinem Bruder. Ich stand auf der Straße und
überlegte noch, was ich tun sollte, als ich überfallen wurde.«
    Melissande
starrte ihn lange an. Dann, sehr leise und sehr langsam, erwiderte sie: »Ihr
seid nicht nur treulos, Herr, sondern befindet Euch auch im Irrtum. Denn ich
würde doch ganz sicher nicht hier in St. Bede's sein, wenn ich den Earl
geheiratet hätte, nicht?«

5. Kapitel
    Während
Melissande Christians zorniges Gesicht betrachtete, fragte sie sich, ob es
etwas nützen würde, ihm die Wahrheit zu sagen –, daß sie nicht das geringste
mit seiner Entführung zu tun hatte, ihn sogar die ganze Zeit für tot gehalten
und mit aller Macht betrauert hatte.
    Sie vermutete,
daß ihn gerade dieser Haß, den Christian nährte, während seiner Gefangenschaft
auf ihrer Galeere am Leben erhalten hatte, und daß es ihm widerstrebte, ihn
aufzugeben, obwohl das Schlimmste nun vorüber war. Vielleicht brauchte er ihn
ja noch.
    Sie schenkte
sich Wasser aus dem Krug auf Christians Nachttisch ein und trank einen großen
Schluck, um ihre trockene, ungeübte Kehle zu befeuchten. Christian starrte sie
dabei unablässig an, aber sie konnte seinen Ausdruck nicht erkennen, denn eine
Wolke hatte sich vor den Mond geschoben.
    Wie schon
zuvor, sprach sie auch nun entnervend langsam. »Was sagst du dazu, Christian
Lithwell? Warum bin ich heute keine Gräfin, wenn es das war, was ich damals
haben wollte?«
    Christians
Augen wurden schmal; Melissande spürte es mehr, als daß sie es sah, weil sie
seine Züge so gut kannte. Besser sogar noch als ihre eigenen vielleicht. »Es
wäre immerhin möglich, daß James Gewissensbisse bekam und dich verstoßen hat –
vor allem, wenn er erraten hat, was du mir damals angetan hast.«
    »James hat
mir einmal das Leben gerettet«, sagte Melissande nach einem weiteren Schluck
Wasser. »Wie sich jedoch
herausstellte, war es keine noble Geste seinerseits. Er wollte mich für sich
selbst. Und ein Gewissen besaß er nicht.«
    Christian,
der einen Moment zuvor noch müde und angewidert ausgesehen hatte, horchte auf »Besaß?«
    Melissande
senkte ihren Blick. »Dein Bruder ist an der Pest gestorben, Christian. Wie mein
Vater und meine Stiefmutter.«
    Christian
schwieg. Er und James hatten sich nie besonders nahegestanden, weil sie sehr
verschieden waren und James bedeutend älter war, aber sein älterer Bruder war
sein einziger Blutsverwandter gewesen. Er stand nun also genauso allein auf
dieser Welt wie Melissande, obwohl das wenig oder gar nichts änderte, was seine
Abneigung ihr gegenüber betraf.
    Nach langem
Schweigen fragte er: »Hat James sehr gelitten?«
    Melissande
trank noch etwas Wasser. »Es war kein schöner Tod«, erwiderte sie leise, »aber
die Seuche fordert ihre Opfer ziemlich schnell. James war innerhalb von zwei
Tagen tot, genau wie mein Vater und Eleanora.«
    Christian
seufzte. »Großer Gott. Ich hätte nie gedacht ...«
    »Du hattest
keine Möglichkeit, es zu erfahren.«
    Er wandte
für einen Moment den Kopf ab; sie wußte, daß er darum kämpfte, Haltung zu
bewahren.
    »Christian.«
Sanft legte sie eine Hand auf sein verfilztes Haar, das sich selbst in seinem
unsauberen Zustand wie reine Seide anfühlte, und dachte, wie gern sie es mit
duftender Seife und klarem Wasser gewaschen hätte, um die hellen Locken zu kämmen,
zurechtzustutzen und durch ihre Finger gleiten zu lassen ...
    »Laß mich
in Ruhe«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Ich ertrage deinen Anblick nicht.«
    Melissande
erhob keine Einwände und zögerte keine Sekunde lang. Ihre Kehle war wund, und
Christians Zurückweisung hatte sie zutiefst verletzt, obwohl sie von vornherein
damit gerechnet hatte. Sie beugte sich vor und küßte ihn leicht auf die
Schläfe, einerseits, um ihm zu trotzen, und andererseits, um ihn zu trösten.
Dann wandte sie sich ab und verließ fluchtartig den Raum.
    Sie tat
kein Auge zu in jener Nacht, wälzte und drehte sich nur unruhig auf ihrem
schmalen Lager, innerlich zerrissen zwischen ihrem Zorn auf Christian, der sie
eines solch schmählichen Verrats für fähig hielt, und dem demütigenden Verlangen,
ihm ihre Unschuld zu beweisen.
    Am Morgen
nach der Andacht erfuhr Melissande,

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