Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denn dein Herz kennt den Weg
Vom Netzwerk:
gehen.
    Sie zuckte
zusammen, als sie ihn sah, und legte erschrocken eine Hand an ihre Brust, und
Will war so verlegen, daß
er überzeugt war, ihr nie wieder in die Augen sehen zu können. Die Tatsache,
daß er Hosen trug und sie ihn bereits früher am Tag ohne Hemd gesehen hatte,
vermochte daran nichts zu ändern.
    Er errötete
wie eine Jungfrau.
    Bess' Augen
weiteten sich vor Erstaunen, dann lachte sie. »Sie müßten jetzt Ihr Gesicht
sehen!« rief sie entzückt, bevor sie summend zum Toilettenhäuschen weiterging.
    Will
schickte ein rasches Dankgebet zum Himmel, daß sie ihn nicht splitternackt
erwischt hatte, leerte die Wanne und trug
sie zum Bach, um sie auszuspülen. Als er nach geraumer Zeit – die er benötigt
hatte, um seine Haltung wiederzuerlangen – zur Hütte zurückkehrte, blieb er wie
angewurzelt auf der Schwelle stehen, als er die Geräusche hörte, die von
drinnen kamen.
    Bess sang.
Irgendein albernes kleines Liedchen über ein Mädchen, das sein Herz einem
Seefahrer geschenkt hatte, aber es
hätte genausogut der frohlockende Gesang von Engeln sein können, so wie es sich
auf Will auswirkte. Die Melodie berührte seine Seele und ging ihm zu Herzen.
    Die
Zinkwanne in der Hand, stand er in der zunehmenden Abenddämmerung vor der
Hütte und wünschte inständig, ein kultivierter, gutaussehender Mann wie sein
Bruder John zu sein. Natürlich hatte auch er, Will, als Junge eine Menge
Mädchen gekannt, die ihn bewundert hatten, aber dies hier war etwas völlig
anderes. Denn jetzt war er erwachsen, war groß wie ein Berg und machte den
Eindruck, als hätte er in seinem ganzen Leben noch nie einen Barbier gesehen.
    Gott allein
wußte, wie lange er dort noch gestanden hätte, hin- und hergerissen zwischen
seinem Unglück und einer geradezu lächerlichen Freude, wenn Bess nicht die Tür
geöffnet und ihm einen neugierigen Blick zugeworfen hätte.
    »Wollen Sie
dort draußen Wurzeln schlagen, William?« fragte sie auf ihre brüske Art und
Weise. »Das Essen ist gleich fertig, und danach werde ich die Schere nehmen und
Ihnen Ihre Mähne stutzen. Ein Rasiermesser werden Sie doch haben, oder?«
    Will kam
sich dümmer vor als je zuvor, und das sollte etwas heißen nach allem, was er im
Verlauf dieses einzigen Tages bereits durchgemacht hatte. Es war unglaublich,
was für einen Aufstand eine einzige Frau in derart kurzer Zeit verursachen
konnte!
    »Was gibt
es zum Abendessen?« entgegnete er nach einem verlegenen Räuspern und hängte die
Zinkwanne an ihren Haken draußen an der Wand, während er auf Bess' Antwort
wartete.
    »Ich habe
die Bohnen im Ofen überbacken und ein paar Erbsen und Möhren dazu gekocht«,
antwortete sie und blieb in der Tür stehen, bis Will kam. »Gebackenes Huhn mit
Kartoffelpüree wäre noch besser gewesen, aber ich glaube nicht, daß ich mich
dazu überwinden könnte, eins dieser armen, dummen Geschöpfe einzufangen und ihm
den Kopf abzuhacken.«
    Nach dieser
Erklärung wandte Bess sich ab, um ins Haus zurückzugehen, und Will dachte, daß
sie, so wie er sie sah, genügend Mut besaß, um beinahe alles tun zu können.
War sie etwa nicht ganz allein über fast den gesamten Kontinent gereist?
    Das Essen
war köstlich – obwohl es wirklich nichts Besonderes war, wußte Bess, wie man
selbst den einfachsten Gerichten Geschmack verlieh.
    Während er
aß, kam Will zu der verblüffenden Erkenntnis, daß er glücklich war. Bisher war
ihm nie aufgefallen, daß er es nicht gewesen war, und ihm war auch nicht
bewußt gewesen, wie einsam er sich fühlte, seit er das Stadtleben aufgegeben
hatte, um auf einer Farm zu leben.
    Nach dem
Essen räumte Bess den Tisch ab, holte dann ihre Schere und befahl Will, eine
der Obstkisten, die sie als Sitzgelegenheit
benutzten, ans Feuer zu schieben. Eine Lampe brannte auf dem Kaminsims, deren
Licht sie brauchte, um sehen zu können.
    Will ließ
es sich gefallen, daß Bess ihm einen alten Mehlsack um den Hals band, bevor
sie anfing, sein Haar zu schneiden.
Ein kleines Feuer brannte im Kamin, und ab und zu warf sie eine Handvoll Haare
auf die Scheite, wo sie für einen kurzen Moment lang aufflammten, um
unmittelbar darauf zu Asche zu zerfallen.
    Als Bess
offenbar der Ansicht war, sein Haar ausreichend gekürzt zu haben, begann sie
seinen Bart zu schneiden. Will,
der ein wenig eingedöst war, während sie an seinem Haar herumgeschnippelt
hatte, fuhr zusammen und wollte aufspringen.
    Bess legte
eine Hand auf seine Schulter. »Bleiben Sie ruhig sitzen«, befahl sie.

Weitere Kostenlose Bücher