Linda Lael Miller
»Sie
werden danach viel besser aussehen.«
Will fühlte
sich verwöhnt auf eine Art und Weise, wie er es bisher noch nie erlebt hatte:
er brauchte plötzlich Bess'
Gesellschaft, ihre Stimme und ihre Kochkünste. Die Erkenntnis
verdroß ihn etwas, wie all die anderen Erkenntnisse, die er heute schon
gesammelt hatte. »Kommen Sie mir
bloß nicht mit dem Rasiermesser«, knurrte er. »Ich bin sehr wählerisch in der
Auswahl jener, die mich rasieren dürfen.«
»Das ist
offensichtlich, Mr. Tate«, sagte sie spöttisch, als sie ihm den Mehlsack abnahm
und damit zur Tür ging.
Während sie
draußen war und den improvisierten Frisierumhang ausschüttelte, ging Will
rasch zu dem kleinen Spiegel über dem Waschtisch und warf einen mißtrauischen
Blick hinein. Sein Haar war nicht übertrieben kurz, es reichte ihm noch immer
bis zum Kragen, und es war nicht abzustreiten, daß er schon erheblich besser
aussah.
Er schärfte
sein Rasiermesser, nahm seinen Rasierpinsel und die
Seife und füllte eine Schüssel mit heißem Wasser aus dem Reservoir im Herd.
Irgendwann war Bess wieder hereingekommen, hatte den Besen geholt und begonnen,
die Hütte auszufegen.
Will
rasierte sich, wobei er sich ein paarmal schnitt, aber während er mehr und mehr
von seinem früheren Gesicht freilegte, begann sich langsam ein zufriedenes
Grinsen darauf auszubreiten.
Als er sich
schließlich zu Bess umwandte, glitt ihr die Pfanne, die sie gerade spülte, aus
der Hand und fiel laut scheppernd auf den Boden.
3. Kapitel
Obwohl Bess bereits vermutet hatte, daß
Will Tate unter all diesem Haar ein gutaussehender Mann sein mußte, war sie in
keinster Weise auf den Anblick vorbereitet, den er dann tatsächlich bot.
Er hatte
ein kräftiges, markantes Kinn – kein schwaches, fliehendes, wie es so viele
Männer unter ihrem Bart versteckten. Seine haselnußbraunen Augen funkelten vor
Übermut und Lebensfreude, und er war ganz offensichtlich bedeutend jünger, als
sie angenommen hatte.
Verlegen
bückte sie sich, um die Pfanne aufzuheben, die ihr aus der Hand gerutscht war,
als Will sich zu ihr umgedreht hatte. Seltsam, dachte sie, wie schnell mein
Herz klopft, und wie mein ganzer Körper plötzlich prickelt und pocht.
»Sehe ich
jetzt besser aus?« fragte Will. Die Frage klang eher unschuldig als raffiniert;
er wußte anscheinend gar nicht, wie atemberaubend attraktiv er war.
»Viel
besser«, bestätigte Bess, wenn auch nur sehr widerstrebend und ganz
ungewöhnlich heiser.
Will schien
damit zufrieden und durchquerte den Raum, um das Feuer im Kamin zu schüren.
»Ich weiß nicht, ob Sie schon müde sind«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Aber
für mich war es ein langer Tag, und ich möchte mich jetzt hinlegen.«
Bess
spürte, wie das Blut ihr in die Wangen stieg, und war froh, daß Will
beschäftigt war und es nicht sah. Sehnsüchtig
schaute sie zum Bett hinüber, das sehr bequem war, wie
sie bereits wußte, und schluckte unsicher. Obwohl sie an diesem Morgen in der
Badewanne eingeschlafen
war und auch einen Mittagsschlaf gehalten hatte, war sie immer noch erschöpft.
Die lange Reise aus Pennsylvania bis zum Washingtoner Territorium hatte ihr
viel mehr abverlangt, als sie je gedacht hätte.
Wieder
räusperte sie sich. »Sie sprachen heute morgen von einem alten Brauch der
Siedler – Sie nannten ihn einpacken, glaube ich. Wie genau soll das vor
sich gehen?«
Will wandte
sich vom Feuer ab und warf einen riesigen Schatten an die Hüttenwand. Bess
dachte, daß sie für einen
Moment das kurze Aufblitzen seiner weißen Zähne sah, aber sie konnte sich nicht
sicher sein, da er sie immer noch nicht anschaute. »Sie würden auf der einen
Seite des Betts schlafen und ich auf der anderen«, erwiderte er, achselzuckend
und um einen sachlichen Ton bemüht.
Ȇnd was
wäre zwischen uns?« beharrte sie.
»Wir
könnten etwas von Ihrem Gepäck zwischen uns auf die Matratze stellen– aber das
ist eigentlich nicht nötig, glaube ich.
Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß ich Sie nicht anfassen werde, bis wir
verheiratet sind, und da ich noch nie in meinem Leben ein Versprechen gebrochen
habe, wäre es sinnlos, jetzt auf einmal damit anzufangen.«
Bess
glaubte ihm, sagte sich jedoch im gleichen Augenblick, daß sie den Verstand
verloren haben mußte. Ihre eigene
Schwägerin, Simons Frau, hatte ihr einmal verraten, daß kein Mann imstande
war, einer liegenden Frau zu widerstehen. Sie könnten gar nicht
anders, als sie zu besteigen, hatte Jillie behauptet – obwohl
Weitere Kostenlose Bücher