Linda Lael Miller
hielt, bevor er
in der Finsternis verschwand.
Der Dieb
war bereits im dichten Wald hinter der Hütte untergetaucht, als Will endlich
erschien, nur mit seinen Hosen bekleidet und ein geladenes Gewehr in seiner
Hand.
Wie durch
ein Wunder fand Bess ihre Stimme wieder. »Sie kommen viel zu spät«, sagte sie
vorwurfsvoll. »Wenn Sie mich begleitet hätten, wie es Ihre Pflicht gewesen
wäre, dann hätten Sie den Indianer noch erwischt.«
Will
fluchte und schaute im schwachen Licht des Monds zum Wald hinüber. Dann
schüttelte er den Kopf, nahm Bess' Arm und schob sie auf die Hütte zu. »Es ist
offensichtlich, daß er bloß die Hühner wollte, wer immer es auch gewesen sein
mag, und ganz gewiß keine gelbhaarige weiße Frau mit scharfer Zunge.«
Seine Worte
riefen Bess all die schaurigen Geschichten ins Gedächtnis, die sie über
gefangene weiße Frauen bei den Indianern gehört oder gelesen hatte, und sie
begann so stark zu zittern, daß Will ihren Arm loslassen mußte, um ihr die
Laterne abzunehmen, bevor sie sie fallen ließ. »Machen Sie sich bloß nicht
lustig über mich«, sagte sie, während sie neben ihm daherstolperte. »Im übrigen
bin ich überzeugt, daß ich keine schlechtere Gefangene abgäbe als jede andere
Frau.«
Calvin
begann in der Ferne zu bellen, aber Bess dachte, daß er nur Theater machte. Der
Hund wollte sie wohl glauben machen, er habe den Eindringling verscheucht,
obwohl sie sich ziemlich sicher war, daß er beim ersten Anzeichen von Gefahr in
den Wald geschlichen war und sich dort versteckt hatte.
Sie hatten
inzwischen Gott sei Dank die Hüttentür erreicht, und Will trat zurück, um Bess
vorangehen zu las sen. »Die Indianer hier in dieser Gegend haben schon genug
Schwierigkeiten, sich selbst zu ernähren – da wäre es sehr unwahrscheinlich,
daß sie Sklaven nehmen würden.«
Bess
erschauderte, und ihr war ganz schwindlig vor Erleichterung, wieder in
Sicherheit zu sein, bei Will, der sie beschützen würde. »Aber wieso denn?«
fragte sie erstaunt. »Man sagt doch, die Indianer wären exzellente Jäger.«
Will
verriegelte die Tür, stellte die Laterne wieder auf den Tisch und hängte das
Gewehr an seinen Platz über dem Kamin, bevor er antwortete. »Der letzte Winter
war ganz besonders hart, so daß dieses Jahr nicht viel Wild da ist. Außerdem
hatten sie Ärger mit einem Stamm aus dem Norden – die fremden Indianer kommen
ab und zu aus Kanada herunter und rauben ihnen ihre Pferde und ihre Frauen.«
Bess ging
zu Wills Bett – ohne Zögern, aber auch ohne ihre Kleider auszuziehen. Nichts
hätte sie jetzt noch davon abhalten können, sich aus der Sicherheit seiner Nähe
zu entfernen. »Frauen?« wiederholte sie mit unsicherer Stimme.
Will
lachte, so ruhig und gelassen, als schlüge er jeden Abend einen
Indianerüberfall zurück. »Indianerfrauen«, erklärte er. »Beide Stämme
halten > Boston < –Frauen für viel zu anstrengend – und das sogar in guten,
fetten Zeiten.«
Bess setzte
sich auf die Kante der Matratze, an der Seite, die der Wand am nächsten war,
und ihre Finger zitterten so sehr, daß sie große Mühe hatte, ihre Schuhe
aufzuknöpfen. »Warten Sie nur, bis ich Mama und Papa und Jillie und Simon von
dieser Nacht berichtet habe«, sagte sie, im qualvollen Bewußtsein dessen, daß
Will sich schon wieder hingelegt hatte und wahrscheinlich sogar seine Hosen
vorher ausgezogen hatte.
Und wenn
sie nun in der Nacht auf seine Seite hinüberrutschte – durch reinen Zufall
selbstverständlich – und ihn berührte?
Er seufzte
wieder, das tiefe, zufriedene Seufzen eines starken Mannes, der müde von der
harten Tagesarbeit war, und meinte: »Machen Sie bloß nicht gleich ein Massaker
aus einem einzigen verdammten Hühnerdieb und erschrecken Ihre Leute daheim zu
Tode.«
Damit
schlief er ein und überließ es Bess, vorsichtig unter die Decken zu schlüpfen,
komplett angezogen bis auf ihre Schuhe. Das heißt, das Korsett hatte sie schon
morgens nach dem Bad nicht wieder angelegt. Ihr war, als ob die Hüttenwände
immer dünner würden, mit jedem verstreichenden Moment, während die nächtlichen
Geräusche draußen immer lauter wurden.
In ihrer
lebhaften Phantasie stellte Bess sich Indianer in Lendenschurzen vor, mit
schweißglitzernder, kupferfarbener Haut, die um ein loderndes Feuer hockten
und Pläne für einen Überfall schmiedeten ...
Sie
erwachte vom Klappern einer Pfanne auf der eisernen Platte des Küchenherds und
war erstaunt – und sehr erleichtert , daß die Hütte
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