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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denn dein Herz kennt den Weg
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endlich stehenbleiben?«
    Er tat es,
und eine süße Hoffnung stieg dabei in seinem Herzen auf – eine Hoffnung, die er
beim besten Willen nicht mehr unterdrücken konnte.
    Bess
stützte beide Hände in die Hüften, obwohl sie in der einen noch immer den
Wasserkrug hielt, und schaute wütend zu Will auf. »Das Leben in den Städten
kann genauso hart sein, Mr. Tate. Abgesehen von den Aufständen, die die Leute
von der Gewerkschaft in letzter Zeit anzetteln, gibt es Typhusepidemien;
Menschen werden von Straßenbahnen überfahren und von Kutschen, wenn sie nicht
gerade von Ratten gebissen oder von Bankräubern erschossen werden!«
    Will preßte
die Lippen zusammen. »Und was wollen Sie damit sagen?« fragte er.
    Bess kochte
fast vor Wut. »Was ich damit sagen will, William, ist, daß ihr Siedler Not und
Elend nicht gepachtet habt und ich Ihnen dankbar wäre, wenn Sie aufhören
würden, so zu tun, als wären Sie der einzige Mensch auf dieser Welt, der
kämpfen muß, um etwas zu erreichen. Das müssen wir nämlich alle, Mr. Tate!«
    Will wandte
sich ab, um seine Arbeit wieder aufzunehmen, aber Bess duckte sich unter
seinem Arm hindurch und stellte sich ihm in den Weg, zwischen die Griffe
seines Pflugs und so nahe, daß es seine Haut versengte.
    »Falls ich
beschließen sollte, diesen Ort zu verlassen«, fuhr sie fort, »dann werde ich es
tun, weil ich es für das Richtige halte, und nicht, weil ich mich vor harten
Wintern, Indianern oder irgend etwas anderem fürchte!«
    Vielleicht
war es bloß ihre Nähe, die Will den Kopf verlieren ließ, oder vielleicht war
es auch ihr Temperament. Er hätte es jedenfalls nicht sagen können, als er
seine großen Hände um ihre Taille legte und den Kopf senkte, um sie so
leidenschaftlich zu küssen, wie er noch nie zuvor eine Frau geküßt hatte.
    Bess
versteifte sich, aber nur für einen Moment, ließ den Wasserkrug fallen und
schlang die Arme um Wills Nacken, um seinen Kuß mit einer unschuldigen Leidenschaft
zu erwidern, die das Blut in seinen Adern in Wallung brachte.
    Wahrscheinlich
hätte er sie jetzt aufgehoben und in die Hütte getragen, um sie dort zu lieben,
wenn er nicht plötzlich das heisere Wiehern eines Maulesels und eine vertraute
Stimme hätte rufen hören: »Hallo – ist jemand zu Hause?«
    Mit einem
tiefen Seufzer entließ Will eine errötende, atemlose Bess aus seinen Armen.
    »Das wird
Mr. Kipps sein«, murmelte er heiser und wagte nicht, Bess anzublicken, weil er
befürchtete, Erleichterung in ihrem Gesicht zu sehen – oder Zorn.
Wahrscheinlich war sie so empört, daß sie bereit war, ihn für seine
Ünverfrorenheit zu skalpieren, und es war anzunehmen, daß sie jetzt den
Priester nach Onion City begleiten würde, um ihre Tugend nicht aufs Spiel zu
setzen.
    Bess war so erschüttert, daß jeder Nerv
und jede Faser ihres Körpers von den Nachwirkungen dieses Kusses bebten. Sie
war froh über die Ankunft des Besuchers, denn wenn er nicht gekommen wäre,
hätte sie sich Will vielleicht hingegeben, hier, mitten auf dem Feld, wie
irgendeine billige Straßendirne.
    Sie bückte
sich, um den Krug aufzuheben, strich dann mit der freien Hand ihr Haar und ihre
Röcke glatt und setzte ein Lächeln für den alten Mann auf, der sich ihnen auf
seinem Maulesel langsam näherte. Er war fett wie eine Weihnachtsgans, hatte
einen buschigen, weißen Bart und langes, weißes Haar, und dazu trug er eine
Melone, einen abgetragenen, aber farbenfrohen Rock, geflickte Hosen und weiche
Ledermokassins.
    »Mir
scheint, ich bin gerade noch im rechten Augen blick gekommen«, rief Mr. Kipps
von weitem und warf dann den grauen Kopf zurück und lachte so laut, daß das
Pferd vor dem Pflug erschrocken wieherte und scheute.
    Will
beruhigte es mit einem Wort, aber sein Gesicht war verdächtig rot, und seine
whiskeyfarbenen Augen waren schmal, als
er den Wanderprediger anblickte. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese
Bemerkung näher erklären würden«, sagte er verärgert.
    Bess stieß
ihn in die Rippen. Es war nicht Mr. Kipps Schuld, daß er sie bei einer
unziemlichen Ümarmung ertappt
hatte, und außerdem war ihr der dicke Kleriker bereits
sympathisch. »Sie brauchen gar nichts zu erklären«, meinte sie liebenswürdig.
»Sie sind unser Gast.
    Kommen Sie
herein und machen Sie es sich gemütlich. Will wird Ihren Maulesel versorgen,
und ich decke inzwischen den Tisch. Sie werden uns doch beim Essen Gesellschaft
leisten?«
    Kipps
schaute Will an, zog eine buschige, weiße Braue hoch und

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