Linda Lael Miller
Mylady
selbst als Bräutigam anbiete?«
Renford
erblaßte, und Melissande fühlte eine schwache Hoffnung in sich erwachen.
Natürlich hatte Christian gar nicht vor, sie zu heiraten, trotz der
Liebesnächte auf dem Weg nach London. Das hatte er ihr klar genug zu verstehen
gegeben. Aber Renford konnte nicht wissen, wie die Dinge zwischen der Erbin des
Bradgate-Unternehmens und ihrem einstigen Geliebten standen, und es war nur zu
offensichtlich, daß seine Zuversicht schwer erschüttert war.
Seine
nächsten Worte richtete er an Christian, ohne auf seine letzte Bemerkung
einzugehen. »Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten für Euch, Mylord.
Euer Bruder James ist an der Pest gestorben.«
»Ja«, sagte
Christian, »das weiß ich. Und deshalb habe ich vor, nach Wellingsley zu reiten,
um mein Erbe anzutreten, sobald meine Dame und ich unsere Angelegenheiten mit
Euch erledigt haben.«
»Ihr werdet
alles in einem desolaten Zustand vorfinden«, bemerkte Renford, aber es klang
alles andere als bedauernd. »Außer zerbröckelnden Mauern und eingestürzten
Dächern werdet Ihr nichts finden, weil sämtliche Dienstboten und Vasallen
längst fortgezogen sind, um anderen Herren zu dienen.«
»Es wird
mir große Freude machen, meinen Besitz wieder in seiner alten Pracht
erstrahlen zu lassen«, entgegnete Christian ungerührt und legte eine Hand um
Melissandes Arm , wenn auch nur ganz locker. »Vielleicht heirate ich ja schon
bald, und eine Frau zu haben sowie die Aussicht auf einen Erben wird mich zu
noch viel größeren Bemühungen anspornen.«
Renfords
Gesicht begann blau anzulaufen.
»Setzt
Euch, Mr. Renford«, sagte Melissande, während sie, aufrichtig besorgt, einen
Stuhl für ihn heranzog. »Ihr scheint Euch nicht recht wohl zu fühlen.«
Er ließ
sich auf den Stuhl sinken, zog ein spitzenbesetztes Tuch aus dem weiten Ärmel
seines Wamses und wischte damit über seine schweißbedeckte Stirn. »Wollt Ihr
Christian Lithwell wirklich heiraten?« wandte er sich dann in vorwurfsvollem
Ton an Melissande, als ob sie ganz allein im Raum wären.
»Nein«,
erwiderte sie und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. »Ich fürchte,
Mylord wird mich nicht zur Gattin wollen, weil er glaubt, ich wäre
unzuverlässig und gewissenlos. Aber dennoch werde ich mein Geschäft
zurückbekommen, und wenn ich einen Schenkenflegel vor den Priester schleppen
müßte, um es zu erreichen!«
Christian
erhob kein Wort des Widerspruchs, was eine ziemliche Enttäuschung war für
Melissande.
Denn bis zu
einem gewissen Grad bluffte sie natürlich. Sie hegte nicht den Wunsch, irgend
jemand anderen als ihren Christian zu heiraten, war aber viel zu stolz, um es
in seiner Gegenwart zuzugeben. Wieviel besser und gerechter wäre es, wenn sie
einfach erben könnte, als einziger noch lebender Erbe ihres Vaters.
Wäre sie ein Mann gewesen, wäre das kein Problem gewesen; so wie die Dinge
jedoch lagen, würde sie Renford vielleicht sogar vor Gericht bringen müssen, um
ihn loszuwerden.
»Ihr würdet
mich zwingen, einen Anwalt aufzusuchen?« fragte sie, als Renford beharrlich
schwieg.
Der Mann
begann zu lächeln, schaute Christian an und überlegte es sich augenscheinlich
anders. »Demoiselle Bradgate ...« begann er, in einem herablassenden Ton, der
irgendwie noch beleidigender war als seine beharrliche Weigerung ihr das Recht
zuzugestehen, ihren eigenen Besitz zu verwalten.
Christian
schlang einen Arm um Melissandes Taille und löste damit eine beschämende
Erregung in ihr aus, die sie so jäh und heiß durchzuckte, daß sie errötete.
»Melissande irrte sich vorhin«, sagte er ruhig. »Ich würde sie mit Freuden zur
Gattin nehmen, wenn sie meinen Antrag annimmt.«
Melissande
erhob den Blick zu Christian, so verwundert und verblüfft, daß es ihr nicht
gelang, ihr Erstaunen zu verbergen. Was redete er da? War das nur ein Scherz,
ein grausamer Trick, um ihre Hoffnungen zu wecken, damit er sich später das
Vergnügen leisten konnte, sie wieder zu zerstören?
»Willst
du?« fragte er, als er, ohne sichtbare Gemütsregung, in ihre vor Schock weit
aufgerissenen Augen schaute. »Meine Frau werden, meine ich?«
Sie
schluckte. Ihr Verstand war beherrscht von Mißtrauen und Angst; es war ihr
Herz, ihr impulsives Träumerherz, das ihr die Antwort eingab.
»Ja, ich
will«, sagte sie.
12. Kapitel
Einige Stunden nach der Auseinandersetzung
in den Geschäftsräumen der Bradgate Company brachen Christian und Melissande
zu ihrem Heim in Taftshead auf,
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