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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denn dein Herz kennt den Weg
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und wischte mit dem Handrücken
über ihre Augen. Sie war schon immer ein eigensinniges kleines Ding gewesen,
und sein älterer Bruder hatte ihn oft gewarnt, daß es nicht leicht sein würde,
sie zu handhaben.
    Dumm und
närrisch jedoch, wie er damals gewesen war, hatte Christian nur erwidert, er
habe nicht die Absicht, Melissande zu > handhaben < , sondern sie zu lieben. Sie hatten an einem Samstagmorgen Anfang Juni heiraten wollen, im großen
Saal des prächtigen Landsitzes, den ihr Vater in Taftshead, in der Nähe von
London, besaß, doch statt dessen hatte Melissande ihn in die Sklaverei verkauft.
Zwei qualvolle Jahre hatte er im stinkenden Bauch einer Galeere verbracht,
eines Handelsschiffes, das Melissande einmal erben würde, und war zwischen den
Küsten Englands und Frankreichs hin- und hergerudert. Ihretwegen hatte er
Hunger und Erniedrigung kennengelernt, war er wiederholt brutal geprügelt
worden und hatte Qualen erfahren, die so tiefgingen, daß er nicht einmal
wagte, ihnen Namen zu verleihen.
    »Was tust
du hier?« fragte er mit letzter Kraft. »Du wirst es doch nicht wagen – nicht
einmal du – dich als unbefleckte Jungfer auszugeben?«
    Heiße Röte
stieg in ihre Wangen, aber nichts vermochte sie zu einer Erwiderung zu
verleiten. Sie hob nur resolut das Kinn und schob ein dickes, hartes Kissen
unter seinen Kopf, um ihm aus einer groben Holzschale Brühe einzuflößen, aber
seine Frage beantwortete sie nicht.
    Christian
nahm etwas von der dünnen, aber schmackhaften Suppe und spuckte sie dann
verächtlich auf ihr Kleid.
    Melissande
versteifte sich, und wieder stieg Röte in ihr Gesicht, aber sie machte ihm keinen
Vorwurf, sondern tauchte mit zitternder Hand den Löffel von neuem in die Schale
und hielt ihn an seine Lippen.
    Sein
Versuch, Melissande herauszufordern, hatte Christians letzte Kraft erschöpft,
und so nahm er die Nahrung an, obwohl er inzwischen selbst zu schwach zum
Schlucken war. Er ließ die Brühe einfach seine Kehle hinunterrinnen, in seinen
ausgehungerten und vermutlich längst geschrumpften Magen, während er versuchte,
sich darüber klarzuwerden, wie er hierher, an diesen Ort, gekommen war. Seine
letzte Erinnerung galt dem Schiff, das zwei Jahre lang sein Gefängnis gewesen
war, und den mit dunklen Umhängen und Kapuzen bekleideten Männern, die an Bord
gekommen waren, um ihn für einen Preis von fünfzig Gulden zu erwerben.
    Obwohl er
sich stets danach gesehnt hatte, die Galeere zu verlassen, wieder festen Boden
zu betreten und frische Luft zu atmen statt des unerträglichen Gestanks, der
unter Deck herrschte, war er seinen mysteriösen Rettern, die ihm weder ihre
Gesichter gezeigt noch mit ihm gesprochen hatten, mit starkem Mißtrauen
begegnet.
    Sie hatten
ihn vom Schiff geführt, nach wie vor in Ketten, dann einen Pier entlang, auf
dem nur einige wenige Fackeln schwaches Licht verbreitet hatten. Irgend etwas
am Anführer der sechs Männer war Christian bekannt erschienen, obwohl er nicht
bestimmen konnte, was genau es war.
    Irgendwann
war Christian stehengeblieben, in einer Gasse, einem scheußlichen,
rattenverseuchten Ort, der fast so schlimm war wie das Schiff, das sie soeben
verlassen hatten, und hatte sich geweigert, auch nur einen einzigen weiteren
Schritt zu tun, bis er nicht erfuhr, wohin sie ihn zu bringen gedachten.
    Statt einer
Antwort hatte der Anführer der Gruppe Christian mit dem Handrücken ins Gesicht
geschlagen – und in diesem Augenblick hatte er Queech erkannt, den Diener
seines Bruders James. Da seine Hände und Füße in Ketten steckten, hatte
Christian sich nicht wehren können. Alle sechs Männer hatten sich gleichzeitig
auf ihn gestürzt, und die Schläge, die darauf folgten, waren noch erheblich
brutaler gewesen als sämtliche Mißhandlungen, die er von
den Aufsehern hatte erdulden müssen. Dennoch hatte er keinen Laut von sich
gegeben, bis eine gnädige Ohnmacht ihn endlich von seiner Qual erlöst hatte
...
    Und bloß,
um dann hier aufzuwachen, wo immer das auch sein mochte, bei Luzifers
Geliebten, einer Nonne, die Hühnerbrühe zwischen seine geschwollenen Lippen
träufelte.
    »Wo bin ich
hier?« murmelte er undeutlich, weil er nicht mehr imstande war, seinen Worten
Nachdruck zu verleihen. Er hatte vorhin vage einen Priester wahrgenommen, der
ihn versorgt, seine gebrochenen Knochen gerichtet und eine brennende
Flüssigkeit in seine offenen Wunden gegossen hatte, aber nun war von diesem
Mönch nichts mehr zu sehen. »Ist es das, als was es erscheint

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