Linda Lael Miller
seufzend. »Was ist damals geschehen?«
Er zögerte
eine Weile mit der Antwort. »Ich hatte einen Unfall in der Fabrik, in der ich
beschäftigt war. Ich brauchte über ein Jahr, um von meinen Verletzungen zu
genesen, und habe dabei viel von meinen Ersparnissen verbraucht. Als ich wieder
gesund war und mich bewegen konnte, mußte ich noch zusätzliches Geld verdienen,
bevor ich nach Cornucopia kommen konnte.«
Rebecca
dachte lange über seine Worte nach. »Trotz allem«, gab sie schließlich ein
bißchen widerwillig zu, »bin ich froh, daß Sie noch am Leben sind.«
»Vielen
Dank«, erwiderte Lucas spöttisch.
Sie seufzte.
Wieder einmal würde ihr und den Mädchen nichts anderes übrigbleiben, als
irgendwo an einem neuen Ort ein neues Leben zu beginnen. »Die Zwillinge und ich
gehen morgen«, sagte sie, und bei diesem Gedanken kamen ihr die Tränen. Sie
liebte die Farm, Cornucopia und seine Menschen.
Lucas
bewegte sich, streckte seine langen Beine und stieß ein Gähnen aus. »Hm«, sagte
er. »Es ist unnötig, daß Sie so über dem Bettrand hängen, Mrs. Kiley. Wie ich
vorhin schon sagte, ich nehme keine Frau, die nicht genommen werden will.«
Bis zu
jenem Tag war Rebecca nicht öfter als zwei, dreimal in ihrem Leben errötet,
wenn sie sich recht entsann. Seit Lucas jedoch an diesem Nachmittag erschienen
war, hatte sie mindestens ein halbes Dutzend Mal gespürt, wie ihr das Blut in die
Wangen gestiegen war. Und jetzt, als sie über seine unverschämt freimütigen
Worte nachdachte, geschah es wieder.
Sie biß
sich auf die Lippen, um ihren Ärger zu bezwingen, und sagte dann: »Sie zwingen
mich doch nur, hier bei Ihnen zu bleiben, um mich zu quälen.«
Er lachte,
und dieses leise, tiefe Lachen löste die wunderlichsten Gefühle tief in ihrem
Innern aus. »Um Sie zu > quälen < ? Großer Gott, Rebecca, so intensiv ist
Ihre Leidenschaft? Ich muß schon sagen, Sie schockieren mich.«
Unbändiger
Zorn erfaßte sie, und wenn sie nicht Angst vor den Konsequenzen gehabt hätte,
hätte sie ihn jetzt mit ihrem Kissen erstickt. »Sie schmeicheln sich«,
antwortete sie ruhig, als sie ihrer Stimme wieder traute. »Ich versichere
Ihnen, Mr. Kiley, daß Sie ganz gewiß nicht meine ... meine Leidenschaft
entfachen.«
Lucas
kuschelte sich noch tiefer unter das Federbett und begann auf recht
übertriebene Art zu schnarchen.
Rebecca lag
steif wie ein Brett auf ihrer Kante, starrte zur dunklen Zimmerdecke auf und
fragte sich, was sie jetzt tun sollte. Nachdem eine kleine Ewigkeit vergangen
war, wie ihr schien, und sie sicher war, daß Lucas wirklich schlief, wollte
sie aufstehen und nach unten gehen, um dort zu schlafen, wie sie es
ursprünglich vorgehabt hatte.
Bevor sie
sich jedoch aufrichten konnte, streckte Lucas einen Arm aus, legte seine Hand
auf ihren Bauch und drückte sie
sanft, aber entschieden auf die Matratze zurück. Obwohl sie das Gewicht seiner
Hand und die Kraft seiner Finger nur ganz kurz auf ihrer Haut verspürte, löste
seine Berührung eine ganze Serie beunruhigender Gefühle in Rebecca aus.
»Gute
Nacht, Mrs. Kiley«, sagte er betont.
Danach
versuchte sie gar nicht mehr aufzustehen. Sie blieb einfach hegen und dachte,
daß sie in der Tat ein äußerst verworrenes Netz aus Lügen und Täuschungen
gewoben hatte.
Irgendwann
im Morgengrauen schlief Rebecca aus purer Erschöpfung ein, und als sie
erwachte, war sie allein im Zimmer, und das Haus kam ihr ganz ungewöhnlich warm
vor. Das Licht, das durch die Fenster drang, war noch ziemlich schwach, und
draußen heulte der Wind und trieb kleine Schneeflocken vor sich her.
Rasch stand
Rebecca auf, zog sich an, bürstete ihr Haar und eilte die Treppe hinunter. Da
heute Samstag war, der einzige Tag, an dem die Zwillinge lange schlafen
konnten, verzichtete sie darauf, sie zu wecken.
Lucas war
in der Küche, stand am Herd und nippte an einem Becher mit dampfendem Kaffee.
Als er Rebecca eintreten hörte, drehte er sich lächelnd zu ihr um.
»Guten
Morgen, Mrs. Kiley.«
Es war der
reinste Luxus, in einem warmen Haus aufzustehen und festzustellen, daß der
Kaffee bereits aufgebrüht war – aber Rebecca konnte sich nicht erlauben, dieses
Vergnügen zu genießen. Sie und ihre Halbschwestern würden schon bald draußen in
der Kälte sein, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten, und mit sehr wenig
Geld für ihren Unterhalt.
»Ich
glaube, es wird Zeit, daß Sie aufhören, mich mit > Mrs. Kiley < anzusprechen«, sagte sie, während sie eine Tasse aus dem Schrank nahm
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