Linda Lael Miller
für die sie sorgen mußte. Sie konnte sich nicht
erlauben, die Gastfreundschaft dieses Mannes zurückzuweisen, so sehr es ihr
auch widerstrebte, seine Wünsche zu erfüllen.
Sie nahm
einen Kessel aus dem Schrank und stellte ihn krachend auf den Herd.
Am
frühen Nachmittag,
nachdem sie das Haus aufgeräumt und die Ärmel des roten Samtkleids angereiht
hatte, zog Rebecca ihr gutes Sonntagskleid an, steckte ihren langen Zopf zu
einer Krone auf und legte ihre Haube an.
»Ich
verstehe nicht, wieso wir nicht hier bei Lucas bleiben können«, murrte
Annabelle, während sie zusah, wie Rebecca die Bänder ihrer Haube unter dem Kinn
zu einer Schleife band. »Es ist soo langweilig, in der Kirche herumzusitzen,
wenn du mit dem Chor übst!«
Rebecca
wandte sich vom Küchenspiegel ab und griff nach ihrem wollenen Umhang. »Ihr
könnt nicht hier bei Mr. Kiley bleiben, weil ... weil er beschäftigt
ist. Also zieht jetzt eure Mäntel an und laßt uns gehen. Mrs. Fitzgillen wird
verärgert sein, wenn ich zu spät komme.«
Susan trug
bereits ihre Wintersachen. »Könnten wir nicht bei Mrs. Daniels im Laden
bleiben, während du mit deinem Chor singst?« fragte sie mit einem liebenswerten
Lächeln.
Trotz ihrer
vertrackten Lage mußte Rebecca lächeln. Susan war die Diplomatin der Familie.
»Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Idee, und ich habe nichts dagegen,
solange ihr mir versprecht, Mrs. Daniels nicht im Weg zu sein.«
Annabelle
schlüpfte rasch in ihren Mantel und zog ihre Stiefel an, begierig zu gehorchen,
jetzt, wo sie sicher sein konnte, daß Rebecca sie nicht zwingen würde,
anderthalb Stunden still in einer Kirchenbank zu sitzen. »Vielleicht erlaubt
Mrs. Daniels uns sogar, die Puppe mit dem blauen Kleid anzufassen, die im
Schaufenster ausgestellt ist.«
Rebeccas
Freude über den Ausflug in die Stadt vermischte sich mit Traurigkeit, als ihre
Schwester die heißersehnte Puppe erwähnte, aber davon ließ sie sich nichts
anmerken. »Du wirst deine Hände bei dir behalten, Annabelle«, entgegnete sie
brüsk, »denn sonst gibt es Ärger.«
Ein Hämmern
ertönte aus der Scheune, als Rebecca und die Zwillinge den Hof durchquerten und
auf die Straße zugingen, die zur Stadt führte.
»Ich könnte
hineinlaufen und Luc... Mr. Kiley sagen, daß wir in die Stadt gehen«, bot
Annabelle an, ein bißchen zu eifrig für Rebeccas Geschmack. Es war
offensichtlich, daß das Kind den vermeintlichen Ehemann ihrer älteren Schwester
bereits ins Herz geschlossen hatte, und Rebecca wunderte sich, daß er die
Zuneigung der sonst eher zurückhaltenden Annabelle so rasch gewonnen hatte.
»Es besteht
kein Grund, ihm alles zu erzählen«, erwiderte Rebecca brüsk.
Doch auch
Susan mußte ihren Senf dazugeben. »Vielleicht würde er den Wagen anspannen und
uns in die Stadt fahren, wenn wir ihn darum bitten«, schlug sie mit unsicherer
Stimme vor.
Rebecca
spürte, wie sie ungeduldig wurde. »Das wäre eine Zumutung«, sagte sie
entschieden, in einem Ton, der keinen
Widerspruch erlaubte, und ging voran zur Straße. Annabelle und Susan blieb
nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Sie
brauchten eine halbe Stunde bis zur Stadt, und als Rebecca die Zwillinge im
Gemischtwarenladen abgesetzt hatte und zur Kirche weiterging, waren ihre Hände
und Füße wie erfroren von der Kälte.
Da
Feuerholz knapp war – es mußte per Wagen oder Zug aus einiger Entfernung
herbeigeschafft werden –, war es in dem kleinen Gotteshaus nicht viel wärmer
als im Freien. Wie die anderen Mitglieder des Chors behielt auch Rebecca ihren
Umhang an beim Singen.
Wie immer
ließ die Musik sie alle Sorgen und Belastungen der Außenwelt vergessen.
Während sie ihr Solo für die
feierliche Weihnachtsmesse am Heiligen Abend übte, gelang es ihr, für eine
Weile zu vergessen, in was für eine ausweglose Situation sie sich gebracht
hatte.
Als die
Probe vorüber war, verabschiedete sie sich von den anderen
Chormitgliedern und ging langsam zu Mrs. Daniels Laden. Normalerweise freute
sie sich auf die Unterhaltungen
mit Mary, da die ältere Frau ihr stets Tee mit Zucker und Zitrone anbot und ihr
das Gefühl vermittelte, willkommen zu sein, aber irgendwie fürchtete Rebecca
sich heute fast davor, ihrer Freundin zu begegnen.
Wie alle
anderen in Cornucopia war auch Mary der festen Überzeugung, daß Lucas Kiley
Rebeccas Mann war, weshalb
Rebecca nichts anderes übrigbleiben würde, als sich wie eine glückliche Ehefrau
zu verhalten, die ihrer Freundin nach dem langersehnten
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