Linda Lael Miller
lang geblieben.«
Lucas
schaute mit erhobenen Augenbrauen zu Rebecca hinüber – die prompt so rot wurde
wie der Samt, den sie vom Tisch aufsammelte –, bevor er Susans Frage beantwortete.
»Ich glaube nicht, daß man mich als Pensionsgast bezeichnen könnte«,
erwiderte er gedehnt und hielt inne, um einen Schluck Kaffee zu trinken. »Mit anderen
Worten – falls hier irgend jemand in der Scheune schläft, dann ganz gewiß
nicht ich.«
Rebecca
legte den Zwillingen je eine Hand auf die Schulter und schob sie in Richtung
Wohnzimmer. »Geht jetzt und erledigt eure Hausarbeit für morgen«, sagte sie streng.
»Es brennt schon ein gemütliches Feuer im Kamin.«
Annabelle
und Susan gehorchten, wenn auch nur sehr widerstrebend. Immer wieder schauten
sie sich neugierig und eine Spur besorgt nach Lucas um.
Als die
Mädchen endlich am Feuer saßen, im Schatten der großen Zimmerpalme, die Mr.
Pontious Rebecca einmal statt der Miete für den Scheunenraum gegeben hatte,
kehrte Rebecca in die Küche zurück.
Lucas, der
seine Pastete gegessen und seinen Kaffee getrunken hatte, stand auf und trug
das schmutzige Geschirr zur Spüle. Dort blieb er stehen, stützte die starken
Hände auf den Rand und starrte aus dem beschlagenen Fenster in die zunehmende
Abenddämmerung hinaus.
Rebecca
blieb auf der Schwelle stehen und nutzte diese Gelegenheit, ihn unbeobachtet zu
betrachten. Er war kein besonders
großer Mann, aber seine Schultern waren breit und
muskulös, und sein hellbraunes Haar kräuselte sich über seinem Kragen. Er
strahlte Würde aus und unaufdringliche
Stärke, und das waren genau die Eigenschaften, die Rebecca als erstes
aufgefallen waren, als sie sich drei Jahre zuvor in Chicago begegnet waren.
»Es sieht
so aus, als gäbe es noch mehr Schnee«, sagte er, ohne sich umzuwenden.
Rebecca war
sicher gewesen, kein Geräusch verursacht zu haben, als sie den Raum betrat.
»Was nicht weiter überraschend
wäre im Dezember«, entgegnete sie. Es lag ein fröhlicher, optimistischer Ton in
ihrer Stimme, aber er klang selbst in ihren eigenen Ohren falsch.
Lucas
wandte sich um, verschränkte die Arme über der Brust und lehnte sich an die
Spüle, um Rebecca lange Zeit mit
undurchdringlicher Miene zu betrachten, bevor er sprach. »Wie kommen Sie dazu,
in meinem Haus zu leben und den Leuten zu erzählen, Sie wären meine Frau?«
fragte er ruhig.
Sie
seufzte, durchquerte den Raum und nahm ihren Umhang von einem Kleiderhaken bei
der Tür. Sein Mantel hing daneben und roch nach frischer Luft und Schnee.
»Ich muß
nach den Hühnern sehen«, wich sie aus, während sie ein Sieb mit
Kartoffelschalen vom Arbeitstisch nahm und zur Hintertür ging. »Wenn Sie mich
begleiten wollen, Mr. Kiley ...?«
Lucas
schnappte sich seinen Mantel und folgte ihr rasch hinaus. Mitten auf dem Hof,
wo noch immer seine Pferde und sein Wagen standen, packte er Rebecca am Arm und
hielt sie zurück.
Ein Muskel
zuckte an seinem Kinn, und sie erkannte Zorn in seinen Augen. Dicke
Schneeflocken begannen herabzusinken
und sammelten sich in seinem zerzausten Haar. »Verdammt, Rebecca!« knurrte er.
»Auch meine Geduld hat Grenzen. Was geht hier eigentlich vor?«
Sie
schluckte hart, und ungewollte Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie und die
Mädchen würden nun bald wieder heimatlos
sein, aber sie würde immer für die Wärme, Bequemlichkeit und Sicherheit, die
sie hier bis zu Lucas' Rückkehr genossen hatten, dankbar sein.
»Eines
Tages, während jener Zeit, als Sie und ich in Mrs. Readmans Pension wohnten«,
begann sie leise, »erschien
mein trinkfreudiger, verantwortungsloser Vater mit
Annabelle und Susan.« Sie hielt einen Moment inne, um die Tränen
zurückzudrängen, die in ihren Augen brannten.
»Seine zweite Frau, ihre Mutter, war gestorben, und er
beabsichtigte, seine Töchter im Stich zu lassen, wenn ich sie nicht aufnähme.
Sie waren halb verhungert und
zutiefst verängstigt. Mrs. Readman gab ihnen etwas zu essen, stellte aber klar,
daß sie keine Kinder in ihrer Pension wollte, und so gingen wir, um etwas
anderes zu suchen. Ich fand eine Hütte in der Nähe der Fabrik, in der ich
arbeitete, und ... und ...«
Wieder
hielt sie inne, als sie an jene Zeit zurückdachte und sich an die
Hoffnungslosigkeit erinnerte, an die chronische
Kälte, den Hunger und die abgrundtiefe Müdigkeit. »Als ich später noch einmal
zur Pension zurückkehrte, um einige Sachen abzuholen, die ich bei Mrs. Readman
gelassen hatte, sagte sie mir, Sie hätten einen Unfall
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