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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Preis des Verlangens
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sterben«, sagte sie.

3. Kapitel
    Gut, daß du fast nicht zu ermüden bist,
sagte Annabel sich, als sie später an jenem Morgen, nach einem kurzen Besuch
an Susannahs Grab, in einem von Gabriels leichten Wagen in die Stadt
zurückkehrte. Nicholas hielt die Zügel, und der Picknickkorb, den Charlie für
sie vorbereitet hatte, stand auf ihrem Schoß. Eine weitere Hürde erwartete sie
jetzt – die Begegnung mit den neugierigen und oftmals selbstgerechten
Einwohnern von Parable.
    Mit
Ausnahme von Louisa McKeiges Entführung vor mehr als dreißig Jahren war wohl
kein anderes Thema in der Stadt so heftig diskutiert und nichts so sehr
verurteilt worden, wie die Tatsache, daß Annabel ihren Ehemann verlassen
hatte. Die kühneren Mitglieder der Gemeinde würden nicht zögern, sie direkt zu
diesem Thema zu befragen, und die feigeren würden hinter vorgehaltener Hand
darüber tuscheln.
    Als Ellery
Lathams Tochter hatte Annabel bereits mit zwölf Jahren erfahren, was
gesellschaftliche Ächtung war. Und deshalb ersehnte sie sich so heftig
Anerkennung, daß es schon fast schmerzte.
    Annabel
straffte die Schultern und atmete tief durch, um Kraft zu sammeln, als Nicholas
den Wagen im Schatten einer großen alten Eiche zwischen einem Dutzend
ähnlicher Gefährte anhielt. Es gab eine Legende, die besagte, dieser Baum wäre
vor fast einem Jahrhundert von einer weißen Frau gepflanzt worden. Die
Geschichte erzählte, diese Frau sei von Indianern entführt worden wie Louisa
McKeige, wenn auch irgendwo in Kansas oder Missouri, und von einem Stamm an
den anderen verkauft worden, bis sie schließlich irgendwann in den Westen kam.
Alles, was dieser unglücklichen Frau als Erinnerung an ihr wahres Zuhause und
ihre Familie geblieben sei, hieß es, war eine Handvoll Eicheln, die sie während
des Kampfes aufgehoben hatte.
    Diese
Erzählung hatte Annabel vom ersten Tag an, als sie sie gehört hatte,
erschaudern lassen, aber heute fragte sie sich, ob dies alles je geschehen war.
Der Wilde Westen war ein Ort, der spektakuläre Geschichten und starke Kinder
hervorbrachte. Die Überlebenden – ob es nun Mythen waren oder die Menschen, die
sie weitergaben – waren wirklich zäh und hart im Nehmen.
    Nicholas
sicherte Bremse und Zügel und kam dann zu Annabel, um ihr beim Aussteigen zu
helfen. Seine Ähnlichkeit mit dem jungen Gabriel erfüllte Annabel mit einer
bittersüßen Trauer, und wieder einmal wünschte sie, damals alles anders gemacht
zu haben. Sie hätte stärker sein müssen, hätte einen Weg aus der Dunkelheit und
zu Gabriel finden müssen. Oder wenn sie wenigstens Nicholas gezwungen
hätte, bei ihr zu bleiben, anstatt nach Nevada zurückzukehren, ob es ihm nun
gefallen hätte oder nicht.
    Großer
Gott, sie hatte so viele Fehler in ihrem Leben gemacht, und Gabriel und
Nicholas kampflos aufzugeben war einer ihrer größten gewesen. Anstatt wegzulaufen
und im fernen Boston bei einer verbitterten alten Tante Zuflucht zu suchen,
während sie darauf wartete, daß ihr Mann kam und sie holte, hätte sie
hierbleiben sollen, hier in Nevada, und sich behaupten. Warum hatte sie nicht
abgewartet, bis der Schmerz vorüberging – oder zumindest erträglicher wurde –,
bevor sie eine so voreilige Entscheidung traf?
    Sie schloß
die Augen, und ihre Reue war so stark in diesem Augenblick, daß sie geschwankt
haben mußte, denn Nicholas ergriff hastig ihren Arm.
    »Annabel?«
fragte er leise. »Alles in Ordnung?«
    Oh, einmal
das Wort > Mutter < von ihm zu hören, in zärtlichem und liebevollem Ton!
Aber dieses kostbare Recht hatte sie aufgegeben, aus freiem Willen – indem sie
dem Verlangen eines Kindes heimzukehren stattgegeben hatte.
    Sie faßte
sich, erwiderte den fragenden Blick ihres Sohnes und schaffte es zu lächeln.
    Es tut
mir so leid, Nicholas, hätte
sie so gern gesagt. Verzeih mir bitte.
    »Es geht
schon wieder«, erwiderte sie statt dessen.
    Nicholas
grinste, auf diese mutwillige und etwas unverschämte Weise, die so typisch für
ihn war, und reichte ihr seinen Arm, während er mit der anderen Hand den
Picknickkorb nahm. »Sollen wir?«
    Sie hatten
kaum den Rand des Kirchhofs erreicht, auf dem alle Veranstaltungen der Gemeinde
stattfan den, da kein geeigneterer Ort dafür vorhanden war, als Jessie auch
schon auf sie zukam.
    Gabriels
Schwester war mit Würde gealtert. Ihre Schönheit, die klassisch wie die einer
griechischen Statue war, war mit den Jahren höchstens noch ausdrucksvoller und
markanter geworden. Ihr blondes Haar war lose

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