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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Preis des Verlangens
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aufgesteckt, und ihre Figur, die
schon immer fabelhaft gewesen war, war schlank geblieben. Daß die schöne Witwe
nicht noch einmal geheiratet hatte, war zweifellos nur auf den Mangel an
passenden Ehekandidaten in Parable zurückzuführen.
    »Annabel«,
sagte sie statt einer Begrüßung.
    »Jessie«,
erwiderte Annabel und reichte ihr die Hand, obwohl ihr der strafende Blick in
Jessies blauen Augen nicht entgangen war.
    Jessie
zögerte einen Moment, bevor sie, vielleicht Nicholas zuliebe, Annabels
ausgestreckte Hand ergriff. »Du siehst gut aus«, meinte sie und schaute dabei
betont an Annabel vorbei. »Wo ist Gabriel?«
    Da mischte
Nicholas sich ein, Gott sei Dank. »Er kommt nach«, sagte er rasch und beugte
sich ein wenig vor, um seiner Tante einen Kuß zu geben.
    Sie
strahlte ihn an. Jessie hatte nie eigene Kinder gehabt, und früher, als sie und
Annabel noch Freundinnen gewesen waren und Franklin, Jessies reicher Ehemann,
noch lebte, hatte sie ihr oft gesagt, wie verzweifelt sie deswegen war.
    »Wirst du
lange bleiben?« fragte Jessie, während sie Annabels Arm nahm, was eine
versöhnliche Geste hätte sein können, wenn ihre steife Haltung nicht gewesen
wäre. »Ist es nicht eine Schande, daß unsere Stadt nach all dieser Zeit noch
immer kein Hotel besitzt?«
    Nur ihr
Stolz bewahrte Annabel davor, bei dieser Bemerkung, die sich auf ihren
Aufenthalt auf Gabriels Ranch bezog, zu erröten. Wahrscheinlich zerbrachen
die Leute sich bereits die Köpfe darüber, ob sie das Bett mit Gabriel teilte,
trotz ihrer langen und in ihren Augen ungerechtfertigten Abwesenheit.
    Annabel
schenkte ihrer Schwägerin ihr wärmstes Lächeln. »Gabriel war so freundlich, mir
sein Zimmer zu überlassen«, sagte sie.
    »Wirst du
lange bleiben?« wiederholte Jessie, die noch immer Annabels Arm festhielt, auf
eine Art und Weise, die mehr eine Gefangennahme als eine kameradschaftliche
Geste war. Sie hatten den Schauplatz der Festlichkeiten inzwischen erreicht,
und wie Annabel bereits erwartet hatte, wandten sich viele Leute mit
unverhohlener Neugier zu ihr um.
    »So lange,
bis ich meine Angelegenheiten hier geregelt habe«, antwortete Annabel mit
ungefähr dem gleichen Grad an Zuneigung, die Jessie sich anmerken ließ. »Ich
muß meinen Kutscher suchen, damit Gabriel ihm einen Platz in der
Arbeiterbaracke geben kann.« Sie drehte sich um, als sie merkte, daß ihr Sohn
sich abwandte.
    Nicholas,
der das kleine Drama nicht bemerkt zu haben schien, war deutlich abgelenkt. Er
trug einen ernsten Gesichtsausdruck zur Schau; und wenn jemand Annabel nach
ihrer Meinung gefragt hätte, hätte sie gesagt, daß sein interessierter Blick
den jungen Mädchen unter den Gästen galt – daß er sie kritisch betrachtete
und vielleicht sogar nach einem ganz bestimmten Ausschau hielt.
    Es
schmerzte Annabel, daß sie nicht einmal wußte, ob ihr Sohn eine Freundin hatte,
und die Vorstellung, daß er sich Jessie anvertraut haben könne, betrübte sie.
Obwohl Nicholas seit zehn Jahren regelmäßig mit ihr korrespondierte, schrieb er
selten etwas Persönliches in seinen Briefen, sondern schilderte das Wetter,
irgendeinen Zugraub oder einen Ausflug nach Virginia City. Trotz allem war es
ihm jedoch gelungen klarzustellen, daß er sehr viel Zeit mit seiner Tante verbrachte.
Tatsächlich hatte er sogar ein Zimmer in ihrem Haus.
    »Komm und
setz dich zu mir«, sagte Jessie in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ,
und zog Annabel zu der Decke, die sie im Schatten einer großen Ulme
ausgebreitet hatte. »Wir haben uns viel zu erzählen.«
    »Würdet ihr
mich bitte entschuldigen?« fragte Nicholas, noch immer abgelenkt, und war fort,
bevor seine Mutter oder Tante etwas darauf erwidern konnten.
    Jessie
lächelte nachsichtig, als wäre er ihr Sohn, nicht Annabels. Und vielleicht
besaß sie ja auch, in gewisser Weise, einen Anspruch auf ihn. Sie war die
weibliche Kraft in seinem Leben gewesen, und ihr hatte er seine guten
Umgangsformen und seine kultivierte Ausdrucksweise zu verdanken. Gott wußte,
daß Gabriel es nie geschafft hätte, ihm all das zu vermitteln.
    Jessie
setzte sich auf die Decke, und da sie noch immer Annabels Arm festhielt, blieb
ihr nichts anderes übrig, als es ihr nachzutun. Etwas unsanft landete sie
neben ihrer Schwägerin auf dem Boden, und mit einer nervösen Geste strich sie
ihre langen Röcke glatt.
    »Warum bist
du zurückgekommen, Annabel?« fragte Jessie in leisem, aber strengem Ton.
    Annabel
hielt ihrem prüfenden Blick gelassen stand.

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