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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Preis des Verlangens
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Anspruch
nehmen.«
    Gabriel sah
für einen Moment so aus, als ob er seinen Sohn erdrosseln wolle, aber Annabel
bemerkte seinen Blick gar nicht. Jessie war Gabriels Schwester und fast zwanzig
Jahre älter als er. Sie war die Witwe eines Bankiers und eine Schönheit, wie
ihre Mutter es gewesen war, und wahrscheinlich war sie in all diesen Jahren
auch so etwas wie eine Ersatzmutter für Nicholas gewesen.
    Aber Jessie
hatte Annabel nie verziehen, daß sie auf diese Weise fortgegangen war – sie
hatte ihr eine Reihe von Briefen geschrieben, die keinen Raum für Zweifel
ließen –, und daher war Annabel sich ziemlich sicher, daß sie nicht die Nacht
in ihrem Haus verbringen würden.
    »Du kannst
tun und lassen, was du willst«, entgegnete Gabriel kühl, und obwohl diese
Worte an seinen Sohn
gerichtet waren, wußte Annabel, daß sie auch ihr galten. An der Tür setzte er
seinen Hut auf und fügte hinzu: »Sorg nur dafür, daß du morgen früh zu Hause
bist, um die Zäune abzureiten. Ich will wissen, wo all die verschwundenen
Rinder geblieben sind.«
    Nicholas
antwortete darauf mit einer Geste, die ihm unter anderen Umständen vielleicht
eine Ohrfeige seines Vaters eingetragen hätte. Annabel hatte immer angenommen,
daß ihr Mann und Sohn sich gut verstanden, sich vielleicht sogar gegen sie verbündet
hatten, weil sie sich so ähnlich waren, aber jetzt erkannte sie, daß
verborgene, vielleicht sogar gefährliche Unterströmungen in ihrer Beziehung existierten.
    »Grüß
Jessie«, sagte Gabriel, bevor die schwere Tür hinter ihm zufiel.
    Ein jähes,
zutiefst verwirrendes Gefühl des Verlusts erfaßte Annabel, so heftig, daß sie
schwankte und die Hand nach dem Treppengeländer ausstreckte.
    Nicholas
starrte sekundenlang auf die geschlossene Tür, als könne er hindurchsehen,
aber – und das schien typisch zu sein für ihn, erkannte Annabel – sein Gesicht
blieb dabei völlig ausdruckslos.
    Zögernd
berührte sie seine Hand, um ihn zu ihr zurückzubringen, und ging dann wortlos
ins Wohnzimmer voran. Das Beste war, dieses schwierige und unvermeidliche
Gespräch so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und dann zu sehen, was
noch zu retten war.
    Es war
offensichtlich, daß der große Raum, der einst so voller Leben gewesen war,
heutzutage nur noch selten benutzt wurde, und die Erkenntnis stimmte Annabel
noch trauriger. Die Möbel waren mit Laken
zugedeckt, der Kamin war leergefegt, und das Piano wirkte einsam und
vernachlässigt, obwohl Charlie es offenbar ganz bewußt vom Staub befreit hatte.
    Der
Holzboden glänzte, aber die Teppiche, die sie mit solch großer Sorgfalt im
Katalog eines Versandgeschäfts der Ostküste ausgesucht und bestellt hatte,
waren aufgerollt und lehnten an den Wänden. Das Porträt von Gabriels Mutter,
der legendären Louisa, die von Sioux entführt worden war, als Gabriel noch ein
kleiner Junge war, hing in einer dunklen Ecke. Vergessen, dachte Annabel, wie
eine Frau, die ein solches Leid erfahren hat, nicht vergessen werden sollte.
Das Gemälde und das Piano waren die einzigen Erinnerungen an Gabriels Mutter
auf der Ranch; Louisas Tagebücher und einige wenige Schmuckstücke befanden sich
in Jessies Haus.
    »Habt ihr
in all dieser Zeit nie etwas von ihr gehört?« fragte Annabel, vorübergehend
abgelenkt von dem Schicksal, das Louisa McKeige befallen hatte. Niemand hatte
sie je wieder gesehen seit jenem Tag, als die Sioux in den Hof galoppiert waren
und sie auf ein Pferd gerissen hatten, während sie Unkraut in ihrem Garten jätete.
Jessie war schon lange verheiratet gewesen und lebte in der Stadt, und Gabriel
war im Haus und erholte sich von den Masern, als es geschah. Nick, der Vater
der Kinder und Louisas Ehemann, war irgendwo in den Bergen auf der Jagd
gewesen.
    Der erste
Nicholas McKeige war nach dem Verschwinden seiner Frau am Boden zerstört
gewesen, hatte sie anfangs fieberhaft gesucht und sich dann nach und nach der
Trunkenheit ergeben, weil er einen gewissen Trost im Whiskey fand. Die Kombi
nation aus Alkohol und Verzweiflung hatte ihn schließlich umgebracht.
    Nicholas
trat neben Annabel und betrachtete das Gemälde. »Man hört ab und zu Gerüchte,
weiter nichts.«
    Annabel
drehte sich zu ihrem Sohn um und schaute ihn fragend an. »Was für Gerüchte?«
    Nicholas
zuckte die Schultern. »Daß sie später einen der Indianer geheiratet hat, die
sie entführten. Ein Trapper behauptete, sie einmal gesehen zu haben, als er mit
den Sioux Handel trieb.« Er seufzte. »Aber das ist

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