Linda Lael Miller
Rasch
wusch sie ihr Haar und ihren Körper und stieg dann aus der Wanne. Nachdem sie
sich mit einem Stück groben Tuchs abgetrocknet hatte, nahm sie ihre chemise, ein schlichtes Hemd aus ungefärbtem Musselin, das sie auf einen nahen Busch
gelegt hatte, und streifte es über.
Sie saß auf
der Bank, wo Dane gesessen hatte, und bürstete gerade ihr langes Haar, als
Edward aus ihrem Zim mer in den Hof kam. Er trug eine saubere, hellblaue
Tunika über dem Arm, die er Gloriana zuwarf, bevor er sich mit einem Fuß auf
die Bank stützte und zusah, wie sie das Gewand anlegte.
»Komm,
Gloriana«, sagte er, während er mit einem kleinen Messer seine Fingernägel
reinigte, »du solltest dein Haar lieber drinnen am Feuer trocknen. Du könntest
Fieber bekommen, wenn dir hier draußen zu kalt wird.«
Gloriana rührte
sich nicht. Sie war nicht so empfindlich wie die meisten anderen Leute; soweit
sie sich entsinnen konnte, war sie noch nie in ihrem Leben krank gewesen. Doch
ihre körperliche Kraft half ihr nicht, wenn es um ihre Gefühle ging. Sie war
kurz davor, in Tränen auszubrechen.
»Glory?«
beharrte Edward.
»Schon
gut«, entgegnete sie ein wenig schnippisch, während sie ihr Haar viel zu heftig
bürstete und Edwards Blick vermied. Obwohl er ihr bester Freund war, wollte sie
nicht, daß er sie weinen sah. Ihr Stolz war zutiefst verletzt, und sie war
viel zu verwundbar in diesem Augenblick.
Edward
hockte sich vor sie hin, schaute zu ihr auf und nahm ihr damit die Möglichkeit,
ihre Gefühle vor ihm zu verbergen. »Warum lügst du?« fragte er und ergriff ihre
Hand. »Haben die Diener schon geklatscht? Bei Gott, ich lasse sie auspeitschen,
jeden einzelnen von ihnen, falls sie auch nur ein Wort ausgesprochen haben, das
dir Gram verursacht hat!«
Eine böse
Vorahnung erfaßte Gloriana und legte sich wie winterliche Finsternis auf ihre
Seele. »Was gibt es zu klatschen?« fragte sie bang und wappnete sich gegen
seine Antwort. An der Begrüßung ihres Gemahls hatte sie ja schon gemerkt, daß
irgend etwas nicht in Ordnung war, aber es schien noch viel mehr
dahinterzustecken, als sie vermutet hatte.
Erheblich
mehr.
»Sag es
mir, Edward«, bat sie, als er zögerte.
Er schloß
für einen Moment die Augen, richtete sich dann auf und setzte sich neben sie.
Zärtlich ergriff er ihre Hände und
streichelte mit den Daumen ihre Fingerknöchel. »Vielleicht ist es besser, wenn
du es von mir erfährst«, sagte er seufzend, und aufrichtige Qual malte sich auf
seinen Zügen ab. »Es ist ja schließlich nicht, als käme so etwas nicht häufig
vor ... Andere Männer tun es auch ...«
Gloriana
drückte aufmunternd seine Finger.
»Dane hat
seine Mätresse vom Kontinent mit heimgebracht«, gestand Edward widerstrebend.
Gloriana
spürte, wie sie erblaßte, doch nach dem ersten Schock erwachte Zorn in ihr. Sie
sprang auf, aber Edward zog sie auf die Bank zurück. Es stimmte, daß viele Männer
sich Mätressen hielten und sogar Kinder mit ihnen zeugten, doch Glorianas
Einstellung zur Ehe war eine völlig andere. Sie hatte die wundervolle Beziehung
zwischen ihrem Vater, Cyrus, und ihrer Mutter, der sanften Edwenna, mit erlebt,
und sie wußte, welche echten Gefühle Gareth und seine angebetete Elaina
teilten. Es war diese Art von Hingabe und Zuneigung, die sie sich für
sich und Dane wünschte, und sie wußte, daß sie sich niemals mit weniger
zufriedengeben würde.
»O Edward«,
wisperte sie und sank an seine Schulter. Ihr nasses Haar fiel auf seine Tunika.
»Was soll ich nur tun?«
Er küßte
ihre Schläfe, ihr ältester und liebster Freund, der Junge, der wie ein Bruder
für sie war, und schlang die Arme um sie. »Es gibt eine ganz einfache Lösung«,
meinte er zärtlich. »Du wirst die Ehe mit diesem Wüstling annullieren lassen
und mich heiraten.«
Kapitel
2
Einer
der Türflügel von
Gareths Bibliothek stand offen, ein sicheres Zeichen, daß Lord Hadleigh Besuch
erwartete. Dane war noch immer durcheinander nach seiner Begegnung mit
Gloriana, als er über die Schwelle trat.
Gareth, der
die Anwesenheit seines Bruders nicht zu bemerken schien, stand an einem der
Fenster und schaute zur Abtei hinüber. Seine Gedanken waren so offensichtlich,
als wären sie mit feurigen Lettern auf seine Stirn geschrieben – Gareth
trauerte um seine schöne Fee Elaina.
»Ist sie
noch bei den Nonnen?« fragte Dane, und seine Stimme klang ungewöhnlich rauh.
Gareths
Schultern schienen sich einen Moment lang zu versteifen, wie unter einem
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