Linda Lael Miller
in
Lyns Haus hatte sie viele seiner medizinischen Journale gelesen und seinen
Telefongesprächen mit Patienten aufmerksam gelauscht.
Dane ließ
Buch und Flasche fallen, als hätte er sich daran verbrannt. »Großer Gott,
Gloriana, wenn dich irgend jemand so reden hört, werden sie dich als Teufelsanbeterin
anklagen!«
»Aber das
würdest du nicht zulassen, nicht wahr, Dane?« versetzte Gloriana schaudernd und
schlang ihrem Mann die
Arme um den Nacken. »Du hast versprochen, mein Herz mit einem Pfeil zu
durchbohren, bevor es soweit kommt.«
Er
erblaßte. »Ich habe niemals einen solchen Schwur geleistet!« entgegnete er
entsetzt.
Und das
stimmte natürlich auch. Der Schwur war in einer anderen Zeit geleistet worden,
die sie nun vollkommen überspringen würden.
Gloriana
schaute ihn nur an und bat ihn ohne Worte, es ihr von neuem zu versprechen.
»Ich würde
niemals mit ansehen, wie du leidest«, sagte Dane nach langem Schweigen ernst.
»Ganz gleich, was ich tun müßte, um es zu verhindern.« Er zog sie an sich und
deutete auf die Zaubermittel auf dem Bett. »Ich will alles erfahren, was es
über deine Bücher und Heilmittel zu lernen gibt«, fügte er hinzu. »Aber jetzt,
mein geliebtes Weib, möchte ich mich mit anderen, angenehmeren Dingen
beschäftigen.«
Kapitel
19
Gareth stand auf dem Podium im großen Saal
und hob den Bierkrug hoch. Seine glückliche Stimme dröhnte durch den riesigen,
zugigen Raum.
»Lady
Gloriana ist zu Heim und Herd zurückgekehrt«, rief er mit schallender Stimme.
»Laßt uns alle ihre Heimkehr feiern und dem Himmel danken, daß ihr nichts zugestoßen
ist!«
Gloriana
saß mit gesenktem Blick an Danes Seite am Tisch des Burgherrn. Es wäre ihr
lieber gewesen, wenn ihre Heimkehr stillschweigend übergangen worden wäre;
zuviel Getue mußte Fragen aufwerfen und die Leute an ihr merkwürdiges
Verschwinden erinnern. Und das konnte gefährlich werden.
Getuschel entstand
unter den Soldaten und dem Gesinde, aber alle hoben ihre Krüge, um ihr
zuzuprosten, und das abendliche Essen nahm lautstark seinen Fortgang.
Heitere
Musik ertönte von der Galerie über dem großen Saal, und Gaukler und Jongleure
führten zwischen den Tischen ihre Kunststücke vor. Gloriana suchte unter den
geschminkten Gesichtern nach Romulus und Corliss, entdeckte sie jedoch nicht –
diese Schausteller waren Fremde und keine Mitglieder der Truppe, der sie bei
ihrem letzten Besuch begegnet war.
Dem Besuch,
der niemals stattgefunden hatte, um genau zu sein. Es war ungemein verwirrend,
Erinnerungen an eine Zeit zu haben, die von niemandem geteilt wurden. Und wie
hätten sie sich auch erinnern sollen, wenn keiner dieser Vorfälle tatsächlich
stattgefunden hatte?
»Was ist?«
fragte Dane und riß Gloriana aus ihren Überlegungen. Er saß neben ihr am Kopf
des Tisches, hatte aber auf den Wein verzichtet, den alle anderen tranken, und
sich Wasser bringen lassen.
»Mir ist
nicht wohl zumute, Mylord«, gestand Gloriana mit einem besorgten Blick auf
seinen Becher. Angesichts der mangelnden Hygiene im dreizehnten Jahrhundert
wäre es ratsamer gewesen, wenn er Wein getrunken hätte. »Irgend etwas
beunruhigt mich, aber ich kann mir nicht erklären, was es ist.«
Kenbrook
lächelte und spießte mit der Spitze seines Messers eine gedünstete Karotte auf.
»Es ist kein Wunder, daß du so rastlos bist, Mylady«, sagte er. »Du hast noch
nichts gegessen.«
Seufzend
tat Gloriana, als äße sie etwas von dem viel zu lange gegarten Gemüse. Sie verspürte
eine seltsame, fast betäubende Spannung in der Luft, so intensiv und unheilvoll,
daß sie fast hörbar war.
Im
allgemeinen achtete Gloriana darauf, sich ausreichend zu ernähren, ob es ihr
schmeckte oder nicht, weil sie an ihr Baby dachte. An jenem Abend jedoch, dem
ersten nach ihrer Rückkehr aus dem zwanzigsten Jahr hundert, konnte sie sich
nicht einmal zu einem Bissen überwinden.
Sie spürte,
daß irgend etwas geschehen würde.
Etwas
weiter unten am Tisch, zu ihrer Linken, saßen Edward und Mariette, in ein
leises Gespräch vertieft, und ihre jungen Gesichter glühten vor gegenseitiger
Zuneigung. Eigg und Pater Cradoc saßen am anderen Ende des Tischs und
unterhielten sich mit Gareth, der inzwischen wieder seinen Ehrenplatz als Burgherr
eingenommen hatte. Nichts war anders als sonst, soweit Gloriana sehen konnte,
und dennoch ...
Plötzlich
brach die Musik ab, aber erst nach einem mächtigen Crescendo, das nicht länger
als einen Moment gedauert haben konnte und
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