Lindenallee
ineinander, wie richtig gehend wir uns langweilten. Er begann eine Grimasse zu schneiden, die mich zum Lachen brachte. Sein Lachen war ansteckend und zog mich wie ein Magnet an. Ich folgte dem Impuls und bewegte mich auf ihn zu. Er richtete sich auf und schaute mir freundlich gesonnen entgegen. Beim Herannahen bemerkte ich, wie eines seiner Augen mich seltsam starr anblickte. An der Schläfe trug er grässliche Narben, die nur vom Krieg stammen konnten. Das schreckte mich aber nicht ab, im Gegenteil, der Mann strahlte eine unglaubliche Zuversicht und selbstbewusste Art aus, die mich in den Bann zog.
Ich blieb vor ihm stehen. Er war so groß, ich musste zu ihm aufblicken. Das gefiel mir, er wirkte auf mich wie einer dieser besagten Felsen in der Brandung, an denen alles abzuprallen schien.
„ Hallo“, sagte ich. „Ich bin Magarete und langweile mich entsetzlich.“
Er lachte belustigt auf. Es war ein tiefes, wohlklingendes Lachen.
„ Ich bin Hannes. Und mir ist auch langweilig. Ich habe meine Schwester hierher begleitet.“ Er zeigte mit der ausgestreckten Hand auf eine junge Frau, die sichtlich vergnügt mit einem Mann tanzte. „Und jetzt suche ich einen Grund, hier schnell zu verschwinden.“
Fragend hob er eine Augenbraue. Das Angebot nahm ich gerne an. „Ich bin dabei. Ich verabschiede mich nur kurz von meiner Freundin.“
Ohne jegliche Bedenken schloss ich mich seinem Vorschlag an, obwohl ich ihn überhaupt nicht kannte. Schnell suchte ich Rosa und gab ihr Bescheid. Sie maß Hannes mit einem kurzen Blick und pfiff anerkennend durch die Zähne. „Viel Spaß Magarete. Und benimm dich“, rief sie mir spaßhaft hinterher, während ich mir meinen Mantel schnappte und auf den Ausgang zueilte, an dem Hannes wartete.
An diesem Nachmittag streiften wir trotz Schnee und Kälte durch Berlin. Wir unterhielten uns sehr offen über unser Leben, was wir die letzten Jahre erlebt hatten, wo es uns unserer Meinung nach in der Zukunft hin verschlagen würde. Ich fühlte mich bei ihm so geborgen und hatte keine Scheu, mit ihm zu reden. Vielleicht traf das Wort Seelenverwandte unsere Verbindung am besten.
Am Anfang waren wir Freunde, es brauchte eine Zeit bis wir erkannten, dass wir Liebe füreinander empfanden. Es war keine stürmisch aufregende Liebe, nein, es war eine behutsame und wachsende Liebe. Mir fällt es schwer, die richtigen Worte zu finden, ohne dass es sich platt oder irgendwie falsch anhört.
Als das Wetter schöner wurde, unternahmen wir viel gemeinsam. Wir fuhren gerne Rad, am liebsten im Grünen und außerhalb der hektischen Großstadt. Am Wochenende radelten wir stundenlang umher, saßen mittags unter einem Baum und aßen unsere Stullen, gekochte Eier und den mitgebrachten Käse. Wenn ich an die Zeit in Berlin zurückdenke, sind mir das die schönsten Erinnerungen. Zusammen mit Hannes in der Natur, die Weite und Stille, die Gespräche, das prägte sich tief in mir ein.
Ich vermutete schon seit längerem, dass er auf einen geeigneten Moment wartete, um mir einen Antrag zu machen. Er ließ sich dennoch Zeit und wählte einen schönen Sommertag im Jahr 1955.
Wir saßen unter einem schattigen Baum. Zufrieden ließen wir den Tag an uns vorbeiziehen. Nach einer Weile kramte er in seiner Hosentasche und hielt auf einmal eine kleine Schatulle in der Hand.
„ Für dich.“
Ich nahm das kleine Kästchen und öffnete gespannt den Deckel. In dem blauen Samt steckte ein schmaler goldener Verlobungsring. Mit großen Augen sah ich ihn ergriffen an.
„ Magarete, möchtest du meine Frau werden?“
Für mich gab es keine Sekunde zu überlegen. „Ja, ich will! Natürlich will ich!“ Ich fiel ihm entzückt um den Hals. Er drückte mich ganz fest an sich und atmete glücklich aus. Dann küssten wir uns. Es war nicht das erste Mal. Im dunklen Kino hatten wir schon das ein oder andere Mal deswegen den Hauptfilm verpasst. Jetzt durften wir es sogar in der Öffentlichkeit wagen.
Im Herbst desselben Jahres heirateten wir standesamtlich. Es war nicht so, wie ich es mir als junges Mädchen immer vorgestellt hatte. Die Zeremonie fiel eher nüchtern aus und die Feier sogar recht bescheiden. Meine Eltern konnten den Hof nicht alleine lassen und kamen deshalb nicht nach Berlin. Und besonders mein Bruder Heinz fehlte mir unermesslich. Eine Anreise aus Amerika erschien zu der Zeit unmöglich. Auch die Familie von Hannes war nicht dabei. Sie war vor dem Krieg in aller Herren Länder verstreut worden. Außer einer
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