Lindenallee
Vorschlag gemeint, soviel war ich noch in der Lage zu verstehen. Bevor er weiter bei den Vorbereitungen half, stellte er mir ein kleines Glas und die Flasche mit dem Schlehenschnaps auf den Tisch. Dankbar nickte ich und goss mir das Glas voll. Meine Nerven flatterten noch nach dem ersten Schnaps, nach dem zweiten wurden sie deutlich ruhiger. Ich schloss mich nie der Behauptung an, ich sei an dem Abend betrunken ins Bett gefallen. Das fand ich übertrieben. Die Anderen fanden es lustig und zogen mich den nächsten Tag unentwegt damit auf.
Am Nachmittag trudelten die ersten Gäste ein. Allen voran meine Geschwister mit ihren Familien. Die vielen Kinder ließen ihr helles Lachen erklingen, sie liefen aufgeregt um uns umher und steckten uns mit ihrem Lachen an.
Wir redeten alle auf einmal, Gläser klirrten laut, als sich zugeprostet wurde und beim Essen klapperten Messer und Gabeln wild durcheinander. So hatte ich mir die Feier in meinen Träumen vorgestellt.
Indes fuhren meine Gefühle mit mir Achterbahn. Mir war in einem Moment zum Weinen vor Glück zu Mute, im anderen lachte ich lauthals heraus. Ich kann es schwer beschreiben, was mit mir los war. Vielleicht konnte ich die überschäumenden Glücksgefühle nur schwer verkraften.
Als Höhepunkt der Feier tauchte endlich mein Bruder auf. Bevor ich ihn erblickte, spürte ich seine Anwesenheit. Er stand mit einem großen Koffer in der Hofeinfahrt, elegant gekleidet und mich mit seinem Blick suchend. Ich ließ alles stehen und liegen, lief auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Er hob mich hoch und drehte mich im Kreis, bis mir schwindlig wurde. Als er mich absetzte, drehte sich mir alles vor den Augen. Es dauerte einen Moment, bis mein Blick auf seinem Gesicht zu ruhen kam. Er war natürlich wie ich älter geworden, feine Linien durchzogen sein Gesicht und die Fältchen um seine Augen herum funkelten mich lustig an. Er war Anfang vierzig und ein stattlicher Mann, aber in seinen Augen leuchtete es wie jeher jugendlich frech auf.
„ Meine Magarete“, sagte er und drückte mich fest, „es ist viel zu lange her, dass wir uns gesehen haben.“
Ich hatte einen dicken Kloß im Hals und konnte nur nicken. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Er schüttelte leicht den Kopf. „Kein Grund zu weinen. Heute wollen wir feiern.“
Hinter uns wurde sich laut geräuspert. Ich drehte mich um. Hannes stand hinter mir.
„ Also wenn ich nicht wüsste, dass dies dein Bruder ist, könnte ich glatt eifersüchtig werden.“
Heinz ließ mich los und reichte Hannes die Hand. „Dann bist du Hannes. Schön, dich endlich kennenzulernen.“
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände und sahen einander an. Es erinnerte mich an eine Zeit zurück, als sich Heinz und Friedrich in der Lindenallee gegenüber gestanden hatten und zum ersten Mal kennenlernten. Wie seltsam das Leben ist, dachte ich, Ereignisse wiederholten sich in ähnlicher Weise und ließen die Erinnerung an Menschen, die wir kannten und liebten, wachhalten.
Ich wusste sofort, Heinz und Hannes würden sich gut verstehen. Die restliche Familie schloss auf und begrüßte Heinz, das Familienmitglied aus Übersee. Ab diesem Zeitpunkt war Heinz stets umringt und wurde von einem Gespräch ins nächste gezogen. Er zeigte uns Fotos von seiner Frau Helen und den drei Söhnen. Sie lebten auf der Ranch des Kommandanten, der Heinz überredet hatte, mit nach Amerika zu gehen und dessen Tochter er geheiratet hatte. Die Jungen kleideten sich wie die Cowboys, so wie wir es aus amerikanischen Western kannten. Nur der Colt an der Seite fehlte, weil der nicht mehr gebraucht wurde, versicherte Heinz uns augenzwinkernd.
Die Feier dauerte bis tief in die Nacht und fröhliches Gelächter erklang durch den Ort. Wir feierten unsere Familienzusammenführung und ein Stück weit, dass wir die schlechten Zeiten überstanden hatten. Aber wir dachten auch an diejenigen, die verloren gegangen waren. Mein ältester Bruder, der nicht aus dem Krieg zurückgekommen war, lebte in unserem Herzen weiter und hielt die Erinnerung an die schlimmen Kriegszeiten in uns wach.
Weit nach Mitternacht wurde das Fest ruhiger, bis alle müde in den Betten verschwanden. Darauf hatten Heinz und ich nur gewartet. Wir schlichen uns aus dem Haus. Es war wie früher, als wir uns auf leisen Sohlen auf und davon machten.
Wir wurden magisch von dem Ort angezogen, der Zufluchtsort und Platz unserer kindlichen Spiele war. Der Ort, an dem wir den Schrecken der Welt gewahr wurden,
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