Lindenallee
entfernten Tante, lernte ich nie jemanden kennen.
Ich war glücklich mit Hannes in Berlin, aber tief in meinem Herzen, sehnte ich mich in meine alte Heimat zurück. Ich fühlte wie sich meine Lebenseinstellung änderte: ich wünschte mir eine Zukunft in einer kleineren und ruhigeren Stadt. Im Gegensatz dazu entwickelte Berlin sich rasant. Eine laute, hektische Stadt erwachte wieder zum Leben, nachdem sie sich die Wunden des Krieges geleckt hatte.
Ich sprach häufig mit Hannes darüber wegzuziehen. Ich brauchte ihn gar nicht lange zu überzeugen, es hielt ihn wenig in Berlin, denn seinen Beruf als Vertreter konnte er auch woanders ausüben. So spielten wir eine Zeitlang mit dem Gedanken, nach Braunschweig zu ziehen, bis eine für uns entscheidende Wendung in Berlin geschah: im August 1961 wurde eine Mauer hochgezogen. Die Stadt veränderte ihr Aussehen und wurde durch ein grässliches Ungetüm zerschnitten. Ich fand es beängstigend, in meiner Bewegungsfreiheit durch eine Mauer eingeschränkt zu werden. Hannes und ich waren wie gesagt Seelenverwandte. Er empfand es genauso. So brachen wir unsere Zelte so rasch wie möglich ab, packten unsere Sachen zusammen und fuhren mit dem Zug nach Braunschweig. Ich war sehr aufgeregt, als wir in den Bahnhof einfuhren. Meine Eltern hatte ich seit gut zehn Jahren nicht mehr gesehen. Wir waren über Briefe und später über Telefon in Kontakt geblieben. Das ersetzte aber nicht ein persönliches Gespräch, bei dem man einander in die Augen sehen konnte und die körperliche Nähe des Anderen spürte.
Als der Zug hielt, erwarteten uns meine Eltern und mein Onkel Franz mit seiner Frau Grete, die damals nach der schlimmen Bombennacht für einige Zeit bei uns auf dem Hof gelebt hatten.
Kaum stand der Zug, zerrte ich ungeduldig an der Tür und sprang heraus. Ich fiel meiner Mutter um den Hals und mir liefen die Freudentränen über das Gesicht. Ich konnte nicht sprechen, ich weinte wie ein Schlosshund, während sie mich fest an sich drückte und mir beruhigend über den Kopf strich.
Mein Vater nahm ohne zu zögern Hannes in den Arm.
„ Herzlich Willkommen“, begrüßte er ihn. „Wir freuen uns endlich, den Mann von Magarete persönlich kennenzulernen.“ Mein Vater blickte ihn stolz an. Er hatte sich sehr über die Nachricht gefreut, dass ich mich vermählt hatte.
„ Es freut mich sehr euch kennenzulernen. In den letzten Wochen hat Magarete unablässig von euch gesprochen und wie schön es in Lucklum ist.“ Hannes kratzte sich verlegen den Bart, er war gerührt, so herzlich aufgenommen zu werden.
„ Umso weniger verstehe ich, warum ihr nach Braunschweig ziehen wollt. Bei uns auf dem Land ist es viel schöner“, wandte mein Vater ein.
„ Wir wollen in eine ruhige Wohngegend in Braunschweig ziehen. Wir möchten nicht alles missen, was eine Stadt zu bieten hat.“
„ Na“, mein Vater klopfte ihm verständnisvoll auf die Schulter, „ihr seid ja noch jung und wollt etwas erleben, das kann ich verstehen. Theater oder Kino gibt es bei uns nicht.“
Ich unterbrach meinen Vater, indem ich ihm schluchzend um den Hals fiel.
„ Na na, meine Kleine“, klopfte er mir beschwichtigend auf den Rücken. Kleine hörte sich vertraut und gut an, auch als erwachsene Frau. „Jetzt ist alles wieder richtig, du bist da. Du bist zu Hause.“ Hatte ich zuvor nur normal geweint, flossen nun Sturzbäche über mein Gesicht. Wir verließen den Bahnsteig, ich musste an der Hand geführt werden, weil mir meine verheulten Augen die Sicht nahmen. Im Nachhinein war es mir peinlich, dass ich mich so sentimental aufgeführt hatte.
Wir verließen das Bahnhofsgebäude und gingen zu Fuß zur Wohnung meines Onkels nahe der Innenstadt. Er hatte seine Apotheke so schnell wie möglich nach Kriegsende wieder aufgebaut und nun wohnten sie darüber in einer schön hergerichteten Zwei-Zimmerwohnung. Die Ehe blieb, wie die von Hannes und mir, leider kinderlos. Sie hatten genug Platz, um uns eine Unterkunft anzubieten, bis wir eine eigene Wohnung fanden.
An diesem Tag, als wir aus Berlin zurückkamen, wurde unsere Heimkehr ausgelassen gefeiert. Die Apotheke blieb geschlossen und die Kundschaft wurde mit einem Schild an der Tür um Verständnis gebeten.
Meine Tante hatte sich viel Mühe mit dem Essen gegeben: es gab Rinderbraten, Salzkartoffeln und Rotkohl. Vorweg eine Suppe und zum Abschluss eine Champagnercreme. Der Geruch und der Geschmack des Essens sind mir heute noch in bester Erinnerung. Wir tranken guten
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