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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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als Braunschweig 1944 in einer Oktobernacht in Schutt und Asche gelegt wurde. Der Ort, an dem ich meinen ersten Kuss von Friedrich bekam: Die Lindenallee.
    Es war, wie zu Hause anzukommen. Wir schritten durch die Allee, die hohen Bäume erhoben sich majestätisch in die dunkle Nacht. Ein leichter, warmer Sommerwind ließ die Blätter leise rascheln. In unseren Ohren klang es wie ein sehnsüchtiger, lang erwarteter Willkommensgruß.
    Wir legten uns unter unseren Lieblingsbaum und blickten in den Himmel. Hätte mich jemand gefragt, ich hätte felsenfest behauptet ich wäre vierzehn Jahre alt, nicht neununddreißig. Ich fühlte mich in die Zeit vor dem Krieg zurückversetzt und mir wurde in dem Moment schmerzlich bewusst, wie sehr ich Friedrich vermisste. Er fehlte mir so sehr. Ich war traurig nie erfahren zu haben, wie es ihm nach seiner Flucht aus Lucklum ergangen war. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn vermisste. Ich war doch mit Hannes verheiratet, einem wunderbar gütigen Mann!
    Als ob Heinz spürte, was in mir vorging, brach er das Schweigen. „Denkst du an Friedrich?“
    Ich seufzte erleichtert, denn mit Heinz konnte ich über Friedrich sprechen und musste ihm nichts vormachen. „Ja, jetzt gerade besonders. Ich glaube, es ist bislang kein Tag vergangen, an dem ich nicht an ihn gedacht habe.“
    „ So geht es mir auch.“ Heinz richtete sich auf und stützte seinen Kopf auf dem angewinkelten Arm ab. „Manchmal bin ich richtig sauer auf ihn, weil er nie versucht hat, mit uns Kontakt aufzunehmen. Ich denke dann, wir waren ihm nicht wichtig genug, sonst hätte er sich doch bei uns gemeldet!“ In seiner Stimme schwang unterschwellige Wut mit.
    Ich nickte bedächtig. „Das schoss mir auch einige Male durch den Kopf. Aber so richtig kann ich mir nicht vorstellen, dass er uns vergessen hat. Ich kann und will das nicht glauben. Vielleicht ist etwas Schlimmes passiert? Diese Ungewissheit macht mich am meisten fertig. Ein Mensch kann doch nicht spurlos verschwinden!“
    Heinz legte sich wieder neben mich auf den Rücken. Er stierte in den Himmel und dachte nach. Die Zeit verstrich langsam und der Wind trug uns schwache Geräusche aus dem Unterholz von den Tieren der Nacht zu.
    „ Bist du glücklich?“, fragte er mich unvermittelt.
    Ich musste nicht überlegen. „Ja, das bin ich.“ Ich drehte mich zu ihm. „Und du?“
    „ Ja, ich auch. Ich habe eine wunderbare Frau, drei wohl geratene Kinder und die Arbeit auf der Farm macht mir richtig Spaß.“
    „ Aber?“
    „ Tja, aber?“ Er dachte einen Moment schweigend nach. „Ich hätte nie gedacht das zu sagen: Ein Teil fehlt mir zu meinem Ganzen. Mein bester Freund fehlt mir. Friedrich.“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
    „ So fühle ich auch.“ Die Erkenntnis tat weh.
    Wir lagen lange dort, redeten über uns, unsere Zukunft und was uns bewegte. Dieses Gespräch mit Heinz war für mich ein kostbares Geschenk. Es gab nichts zu verheimlichen oder zu verschweigen. Wir beide hatten das Gefühl, eine klaffende Lücke im Herzen beständig bei uns zu tragen, seitdem Friedrich uns verlassen hatte. Wir konnten es uns gegenseitig eingestehen und verletzten niemanden damit.
    Meinem Hannes hätte ich es so nie sagen können, auch wenn er es vielleicht spürte. Er ließ es mich nie wissen. Vielleicht war es auch gut so, denn jeder Mensch hat seine Geheimnisse und manche Dinge sollten besser nicht ausgesprochen werden.
    Der Himmel begann sich hell zu färben, als wir begleitet vom Vogelgesang zum elterlichen Hof aufbrachen. Wir kamen völlig übernächtigt dort an, aber es war uns egal. Wir hatten einander wieder und würden die nächsten Tage so viel Zeit miteinander verbringen, wie möglich war. Die Woche, die Heinz in Deutschland blieb, war für mich kostbarer als alle Diamanten der Welt.
     
    Magarete schwieg erschöpft.
    „Alles in Ordnung?“, fragte Paula besorgt.
    Magarete nickte. „Ja. Es ist nur“, sie überlegte wie sie es formulieren sollte, „es kommt mir fast so vor, als wäre es gestern gewesen.“
    „Magarete, möchtest du nicht mit mir zur Lindenallee fahren? Jetzt, wo es endlich grün wird, ist das bestimmt ein herrlicher Ausflug, oder?“ Fragend sah sie Magarete an. Sie war sich nicht sicher, ob die Idee bei ihr auf fruchtbarem Boden fallen würde. Immerhin verband sie mit der Lindenallee viele Erinnerungen, die auch schmerzhaft waren.
    „Als du erzähltest, dass du mit Steffen in Lucklum warst, schoss mir auch der Gedanke

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