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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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weit an Magarete, so wie er sie damals in Lucklum kennengelernt hatte. Er wusste, sie waren nicht miteinander verwandt, aber ein unsichtbares Band verknüpfte die Frauen.
    „Paula, wie wäre es mit einem zweiten Stück?“ Magarete wartete die Antwort nicht ab, sondern schob es ihr auf den Teller.
    „Danke.“ Bevor sie sich darüber hermachte, warf sie einen Blick zu Friedrich hinüber. „Hat dir Magarete eigentlich gebeichtet, dass sie mir eure Geschichte erzählt hat? Ich meine, ich kenne den Teil ihrer Geschichte bis ins hier und jetzt. Deinen Teil, nach dem Schiffsunglück vor Argentinien, wo du und deine Eltern alles Hab und Gut verloren habt, die kenne ich noch nicht. Ich meine, ach, das hört sich jetzt super neugierig an, oder?“
    Friedrich hob abwehrend die Hand. „Das ist in Ordnung, Paula.“ Er lächelte sie aufmunternd an.
    Dankbar stürzte Paula sich auf das zweite Stück Kuchen und sah ihn mit großen Augen an.
    „Du möchtest vermutlich wissen, was nach der Ankunft in Argentinien geschah?“
    Paula nickte wissbegierig mit dem Kopf, dabei flogen ein paar Kuchenkrümelchen auf den Tisch. Sie bemerkte es nicht, sie starrte gebannt zu Friedrich und alles um sie herum wurde zur Nebensache.
     
    Als wir in Argentinien an Land gingen, standen wir unter Schock. Meine Eltern, die sonst nur schwer aus der Fassung zu bringen waren, wussten weder ein noch aus. Die gesamten Ersparnisse waren mit dem Schiff untergegangen. Es blieben nur ein paar Papiere und ein wenig Schmuck, den meine Mutter trug.
    Wie alle anderen Überlebenden des Schiffsunglücks, sammelten wir uns am Hafen beim Büro der Schifffahrtsgesellschaft. Es war ein heilloses Durcheinander. Einige der Gestrandeten wurden von vorausgegangenen Verwandten empfangen. Sie hatten Glück im Unglück und konnten bei ihnen unterkommen.
    Das Glück hatten wir nicht, denn meine Eltern hatten geplant, eine Zeitlang in einer kleinen Stadt unterzutauchen und abzuwarten, was in Deutschland passieren würde. Sobald die Zeichen auf eine Besserung stünden, wären wir sofort zurückgekehrt.
    Die Zeichen standen aber nicht gut, denn die Vorboten eines Krieges hingen wie ein Damokles Schwert über unseren Köpfen.
    Die ersten Tage verbrachten wir in einer günstigen Unterkunft bei einer Witwe aus Irland. Wir konnten kein Wort Englisch und die Verständigung war mehr als schwierig. tagein, tagaus waren meine Eltern unterwegs und suchten nach einer Lösung, wie wir die nächste Zeit überbrücken sollten, wo wir unterkommen würden. Das Geld von dem Schmuck, den meine Mutter versetzt hatte, würde nicht lange reichen. Ohne bezahlte Arbeit, würden wir keinen Monat lang aushalten und auf Almosen angewiesen sein. Jeder Tag, der ereignislos verging, brachte uns dem Unabwendbaren näher, nämlich auf die Mildtätigkeit der Mitmenschen angewiesen zu sein. Und derer konnten wir in diesem fremden Land nicht sicher sein. Wir kamen aus Deutschland, Hitler-Deutschland! Auch wenn wir gegen Hitler waren, es interessierte niemanden. Wir waren und blieben Deutsche. Ich fühlte mich wie ein gestrandeter Wal, der hilflos mit den Flossen ruderte, um ins rettende Wasser zurückzukehren, dadurch aber immer tiefer in das Unglück hineingezogen wurde. Meine Eltern hielten sich tapfer. Sie konnten ihre Furcht vor der herannahenden Katastrophe einigermaßen verstecken.
    Die erlösende Wende kam mit einer großen Rinderherde, die eines Morgens Staub aufwirbelnd durch die Stadt getrieben wurde. Die großen Tiere trugen gewaltige Hörner auf dem Kopf und die Luft war erfüllt von dem aufgeregten Stapfen der Hufe und den tiefen Lauten, die sie von sich gaben. Es waren so viele, wir vermochten sie nicht zu zählen. Neugierig folgten wir der Herde, nein, wir folgten denen, die sie antrieben, denn sie sprachen deutsch. Sonst wären wir nie und nimmer stinkenden Rindern hinterhergezogen!
    Uns interessierten brennend die Reiter, die sich über die Herde hinweg kurze Anweisungen zuschrien. Ihre deutsche Abstammung war nicht zu überhören! Eine Welle der Erleichterung durchflutete meine Eltern, denn seit Tagen war ihnen bewusst, dass wir die einzig verbliebenen Deutschen in dieser beschaulichen Stadt waren.
    Ich war hin- und hergerissen. Einen Moment betete ich dafür, wir würden endlich jemanden finden, der uns Arbeit gab. Folglich musste ich in diesem Land ausharren und vermutlich irgendwo im Nirgendwo auf einer Farm versauern.
    In einem anderen Moment war ich froh, dass wir in der kleinen Stadt

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