Lindenallee
Augenwinkeln, wie sie errötete und verdutzt ihre Hand an die Stelle legte.
Weihnachten kam. Am Heiligabend ließen wir einen Tag die Arbeit ruhen, nur die Tiere wurden versorgt. Wir saßen abends zusammen, aßen gemeinsam und sangen Weihnachtslieder. Es war nicht wie Weihnachten in Deutschland, es erinnerte mich aber ein wenig daran. Meine Gedanken wanderten zurück ins letzte Jahr, als ich Magarete das Schmuckstück und mein Herz schenkte. Wie wir uns geküsst hatten. War es Wirklichkeit gewesen? Ich begann ein wenig zu zweifeln, denn das Leben in Deutschland erschien mir so weit entfernt, wie die Strecke von der Erde zum Mond.
Nach den Feiertagen verliefen die Tage im gleichen Trott wie zuvor. Viele Kälber wurden geboren. Ich sah sie aufwachsen bis es Zeit war, diese zu verkaufen. Meine Ungeduld wurde jeden Tag größer, denn der September schien mir eine Ewigkeit entfernt zu sein.
Karl und Irmgard ließen sich von mir nicht erweichen, der nächste Rindertreck war für Mitte September geplant und ich übte mich zwangsläufig in Geduld, bis der langersehnte Tag da war.
Die Rinder standen ungeduldig stampfend in einem Pferch beisammen, die Treiber hatten sich gut auf den langen Weg vorbereitet und bestiegen ihre Pferde.
Ich saß wie selbstverständlich auf meinem Reittier, einen breitkrempigen Hut auf dem Kopf und sah wie einer von ihnen aus. Ich fühlte mich diesem Land auf eigenartige Weise verbunden. Aber nichts hielt mich davon ab daran zu denken, warum ich mit in die Stadt wollte. In meiner Satteltasche befanden sich Briefe, ein dicker Stapel, alle für Magarete. Über die endlosen Monate waren sie zusammenkommen, als ich sie abends todmüde im Bett verfasste. Manchmal bin ich darüber eingeschlafen. Ich beschrieb in ihnen, wie es mir ging, was ich hier tat, wie ich an sie dachte, wie ich sie vermisste. In diesen eng beschriebenen Seiten, steckten all meine Gefühle, Sehnsüchte, Ängste und meine Liebe.
Meine Mutter holte mich aus meinen Gedanken zurück. „Pass bitte auf dich auf. Und reite nicht so wild“, gab sie mir ihre guten Ratschläge mit auf den Weg.
„ Ja, Mutter.“
„ Und iss unterwegs genug.“
„ Ja, Mutter.“
„ Und denke ….“
„ Mutter! Ich bin doch schon groß!“, protestierte ich lautstark mit einem leichten Unterton der Verzweiflung.
„ Ach, ich weiß doch.“ Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Du wirst eben immer mein Kind sein.“
Irmgard trat neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. „Es wird schon nichts passieren, meine Liebe. Die Männer sind dabei. Das einzige worüber du dir Sorgen machen solltest, ist, wenn sie ihre Ankunft in der Stadt mit zu viel Bier begießen und Dummheiten anstellen. Einmal kamen sie Tage später zurück. Sie waren in eine Schlägerei geraten und für ein paar Tage hinter Gitter gewandert. Das war das Gespräch, sage ich dir.“ Irmgards Stimme klang eindeutig belustigt.
„ Darüber musst du mir mehr erzählen.“
„ Gerne. Der Tee müsste durch sein. Wir setzen uns auf die Veranda.“
Die Beiden wandten sich ab und gingen aufs Haus zu. Wir waren vergessen. Mein Vater schmunzelte. „Da sind wir wohl abgemeldet.“
Also brachen wir auf. Die nächsten zwei Wochen wurden für unseren Treck qualvoll lang. Die Wege waren durch vorangegangene Regenfälle in einem schlechten Zustand, es ging nur schleppend voran. Wir brauchten mehr als zwei Wochen, bis wir an einem freundlichen Tag mit der großen Herde in die Stadt gelangten. Die Menschen warfen uns neugierige Blicke zu, als wir an ihnen vorbeizogen. Ich saß hoch zu Ross und kam mir wie ein Cowboy aus einem der Western vor. Im Traum hätte ich nicht gedacht, dass ich Rinder durch eine Stadt treiben würde!
Die Stadt selbst schien sich nur wenig verändert zu haben, soweit ich das beurteilen konnte. Wir kamen auch an der Pension der irischen Witwe vorbei, in der wir einige Tage nach dem Schiffsunglück gewohnt hatten. Das Haus machte auf mich einen trostlosen Eindruck und ich war froh, als wir es schnell hinter uns ließen.
Wir erreichten unser Ziel am Hafen, trieben die Rinder in das vorgesehene Gatter und stiegen von den Pferden ab.
„ Karl?“
„ Was ist Friedrich?“ Er drehte sich zu mir um und sah mich in seiner gewohnt ruhigen Art an.
„ Ich habe eine Bitte.“
„ Nur heraus damit.“
„ Ich möchte bei der Post Briefe aufgeben und ich brauche jemanden, der für mich übersetzt.“
Er nickte mir zu. „Franz“, rief er zu meinem Vater,
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