Lindenallee
Falten.
31
„Ich glaube, deine Eltern sind sehr enttäuscht, dass sie uns nicht zu Willi Klagenfurth begleiten können“, meinte Steffen beiläufig, während er von der Beifahrerseite aus dem Fenster blickte.
Paula fuhr auf der Landstraße in Richtung Elm, dem Höhenzug, an dessen weiten Ausläufern Lucklum lag. Sie hatte die Strecke die Nacht zuvor im Traum mehrfach abgefahren und war das Gespräch mit Willi Klagenfurth tausendfach durchgegangen. Dabei hatte sie nie etwas Genaues von ihm erfahren können. Manchmal waren seine Lippen wie zugenäht oder sie selbst hatte die Sprache verloren. In einem anderen furchtbaren Traum war Hein Kummerlich aus seinem Grab auferstanden und hatte sich drohend zwischen sie gestellt. Die Nacht war also wenig erholsam gewesen, sie fühlte sich gerädert und müde.
Sie drehte den Kopf kurz zu Steffen und konzentrierte sich wieder auf die Straße. „Meine Mutter hat mir das Versprechen abgenommen, ich müsse mich sofort melden, wenn wir zurück sind. Egal, ob sie dann noch bei Kaufmanns auf der Geburtstagsfeier sind oder nicht.“ Paula seufzte unglücklich. „Mir fällt es sehr schwer, nicht zu erwähnen, wie krank Friedrich ist.“
Steffen wendete den Blick von der schnell an ihm vorbeifliegenden Landschaft ab. „Das glaube ich dir gerne. Umso größer ist mein Stolz, dass du es trotzdem schaffst.“
„Ich kann es auch nicht fassen, wie artig ich mich benehme.“
Steffen gluckste belustigt, während das Ortsschild von Lucklum auftauchte. Sie durchfuhren den Ort, kurz vor dem Ortsausgang blinkte Paula links und lenkte den Wagen einen schmalen Weg entlang, bis dieser vor einem alleinstehenden Haus endete. Der Motor erstarb und bevor sie ausstiegen, warf sie einen Blick zum Haus hinüber, in dem Willi Klagenfurth lebte.
„Sieht gemütlich aus“, stellte Steffen fest. An der Vorderfront des alten Bauernhauses rankte wilder Wein empor, der die rot umrahmten Fenster fast komplett überwucherte.
„Dann wollen wir mal.“ Paula stieg aus und gemeinsam schritten sie auf den Hausstein zu. Sie ergriff die Hand von Steffen. Er drückte sie aufmunternd und gab ihr den nötigen Rückhalt, den sie für den nächsten Schritt brauchte.
An der Hauswand hing ein Türschild aus Ton: Hier lieben und streiten sich Willi, Bärbel und Cassandra.
Paula rümpfte die Nase. „Solche Türschilder mochte ich noch nie. Finde ich irgendwie blöd.“ Sie drückte auf die Türglocke. Eine Melodie erklang, gefolgt von aufgeregtem Getrappel von Pfoten und Hundegebell. Der Hund wartete schwanzwedelnd hinter der milchigen Glastür, bis sein Herrchen hinter ihm auftauchte und öffnete.
„Sie sind aber pünktlich. Kommen Sie rein in die gute Stube“, begrüßte sie Willi Klagenfurth ohne Umschweife.
Steffen ließ Paula den Vortritt und schloss die Tür hinter sich. Der Hund sprang freudig mit dem Schwanz wedelnd um sie herum, während Willi Klagenfurth durch den düsteren Flur ins Wohnzimmer ging. Der Fernseher lief in der Ecke, ein Formel-Eins-Rennen war im vollen Gange. Er stellte den Fernseher auf lautlos und nahm auf dem geblümten Sofa Platz.
„Bitte, setzen Sie sich doch. Meine Frau ist zur Chorprobe, dabei hätte sie dem Gespräch gerne beigewohnt. Aber sie treten nächste Woche auf dem Dorffest auf, da muss geübt werden. Cassandra, Platz.“ Er wies den Hund mit einem Fingerzeig an, sich auf der Decke niederzulegen. „Aber meine gute Frau hat uns Kaffee und Kuchen vorbereitet. Möchten Sie?“
„Gerne.“ Paula war nicht nach Small Talk und Vorgeplänkel zumute, aber sie wusste, es gehörte dazu. Ihr schwirrten unendlich viele Fragen durch den Kopf. Sie musste sich zügeln, diese nicht wie Geschosse auf Willi Klagenfurth abzuschießen. Zudem hatte Steffen ihr mittags eingeschärft, dass es unhöflich wäre, sofort zum eigentlichen Thema zu kommen. Ihre Ungeduld war ein Problem, mit der sie andere Menschen überrumpelte und sogar überforderte.
Steffen übernahm glücklicherweise die leichte Konversation. „Der Kuchen schmeckt ausgezeichnet. Richten Sie bitte nachher Ihrer Frau die besten Grüße aus.“
„Das mache ich gerne. Da wird sie sich freuen, wenn ihr Kuchen ankommt. Backen ist ihr Hobby.“
„Leider sind die heutigen Frauen wenig interessiert an diesen Dingen.“ Schmunzelnd warf Steffen einen Seitenblick auf Paula, die sofort verstand, was er damit meinte.
„Warum Selbermachen, wenn der Bäcker um die Ecke das viel besser kann“, erwiderte Paula schnippisch.
Willi
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