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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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das berührungssensitive Display auf dem Kofferdeckel sanft streichelt. Das iKoffer-Navi erklärt dem Mann mit samtweicher Stimme den Weg zum Flughafen und lobt ihn jedes Mal, wenn er richtig abgebogen ist. Am Flughafen fährt er automatisch zum richtigen Terminal, der Mann steigt ab, der iKoffer checkt sich und seinen Besitzer ein, während der Mann Zeitung liest …  
    Ich klicke auf den nächsten Link. Hier kann man sich einen iKoffer vorbestellen. Er kostet … Waaaaaaaas? Ich schließe die Seite sofort wieder. Wer bitte macht meiner Traumfrau so teure Geschenke? Und Geschenke, die ein normal Sterblicher, selbst wenn er so viel Geld ausgeben wollte, im Moment nur vorbestellen könnte? Ich glaube, mir wird schlecht.  
    Der iKoffer-Film läuft derweil unbeirrt weiter. Das Ding steht irgendwo unbewacht herum. Ein gemeiner Dieb kommt und greift danach. Der iKoffer verpasst ihm einen Stromschlag und ein animierter Du-du-du-Zeigerfinger erscheint auf dem Display. Der Dieb lässt nicht locker und versucht es mit der Stimmsteuerung. Der iKoffer hört aber genau, dass das nicht die Stimme seines Herrchens ist, vertreibt den Dieb mit einer Wolke Pfefferspray und rollt flott zu seinem Besitzer zurück, der ein paar Meter weiter versonnen mit einer Frau flirtet. Ihre Augen leuchten, als der iKoffer sich am Bein des Mannes reibt.  
    Ich breche den Film ab, fahre meinen Rechner herunter, packe ein, bezahle und stehe auf. Eine Spontanreaktion. Schade eigentlich. Ich sehe sie nur ein Mal in der Woche und habe so gut wie nichts erreicht. Muss ich mich allein von der Existenz eines iKoffer-Schenkers ins Bockshorn jagen lassen? Vielleicht ist der Typ fett, alt und hat ein Gesicht wie ein Schimpanse? Ich könnte schnell ein Handygespräch simulieren, in dem ich so tue, als würde mein bevorstehender Termin abgesagt, und mich wieder hinsetzen … Nein, das ist krank. Reiß dich zusammen. Sei du selbst. Geh einfach.  
    »So, ne, ich muss dann mal …«  
    »Wiedersehen … Also, jetzt wirklich, ist irgendwas? Sie starren mich schon wieder so an!«  
    Mist. Ich habe mir gerade vorgestellt, wie sie mit Zöpfen aussieht. Blöder Traum.  
    »Äh, ich sehe nur, Sie lesen Der Knochenmann .«  
    »Ja. Sie auch?«  
    »Ich bin schon durch. Sie ahnen nicht, was zum Schluss rauskommt. Der …«  
    »Wehe, Sie verraten es!«  
    »Oh, natürlich. Ich, äh … Wiedersehen.«  
    »Lassen Sie sich nicht aufhalten.«  

Sonntag  
     
    Die Tausend-Schimpfwörter-Mail habe ich, obwohl ich noch bis spät in die Nacht daran getippt habe, doch erst am nächsten Tag und mit viel Hilfe von Tobi fertig bekommen. Aber seit ich sie an mich abgeschickt habe, geht es mir tatsächlich etwas besser. Und seit ich am Freitagnachmittag meinen letzten Satz für diese Woche ins Mikrofon gesprochen und kurz danach die letzten Worte mit Werbeagenturleuten gewechselt habe, ging es mir noch besser. Und seit ich Samstagnacht gemeinsam mit Tobi und Gonzo nach dem dritten Bier den Lehrsatz Sei du selbst auf den Müll geworfen und durch Versuch wie George Clooney zu sein. Wirst du nicht schaffen, aber wen juckt das? ersetzt habe, geht es mir sogar ziemlich gut.  
    Zu dumm nur, dass das Wochenende nun schon fast vorbei ist und ich gerade beim Einschlafen bin und genau weiß, dass es mir morgen früh wieder sauschlecht gehen wird. Und noch dümmer, dass ich die entspannte Zeit nicht genutzt habe, um wirklich mal darüber nachzudenken, was ich machen könnte, wenn ich nächsten Donnerstag im Coffee & Bytes die Frau wiedersehen werde, in die ich immer noch, oder besser gesagt, mehr denn je verliebt bin. Und ganz dumm, dass ich jetzt auf einmal in meiner alten Schule bin.  
    Es ist der Musiksaal. Einfach zu erkennen am großen schwarzen Flügel neben der Tafel. Mein Blick bleibt kurz am Fenster hängen. Ja. Das Fenster, das ich neulich hinter dem Kopf des Mädchens mit den Zöpfen gesehen habe. Es war also das Musiksaalfenster. Was will ich hier? Allein der Duft von muffigen Schultaschen und Lehrerschweiß ist schon eine Zumutung. Keiner ist da. Wie bin ich hier hereingekommen? Fenster und Türen sind zu. Ich drehe mich um. Oh, die Rückwand fehlt. Die Rückwand fehlt? Da war doch was. Genau. Die Rückwand vom Musikraum meiner Schule. Das war eine Faltwand. Wenn man sie weggefaltet hatte, öffnete sich der Raum zu einer großen Aula hin. Das hat man für die Schultheateraufführungen so gemacht. In der Aula saßen die Zuschauer, die hintere Hälfte des

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